Oder: Wie Vergewaltigungsmentalität von der Mädchenmannschaft verteidigt wird
„Sie [Linda] ist im Diskurs um das ganze Thema eine wichtige Akteurin. Auch als Betroffene verliert man den Status und die Kompetenz der Handelnden nicht.“
Ein paar Wochen vor der Weihnachtspause hatten wir darauf aufmerksam gemacht, dass das feministische Blogger_innen-Kollektiv „Mädchenmannschaft“ sich offensichtlich schwer damit tut, sexuelle Gewalt anzuerkennen und diese angemessen betroffenenfreundlich zu benennen. Eine Betroffene von oralen Vergewaltigungen wurde von ihnen als Akteurin des Blowjobs bezeichnet und an dieser Bezeichnung trotz Kritik festgehalten.
Für uns ist die Sache mit dieser Kritik nicht gegessen. Das eine ist, dass die Mädchenmannschaft nicht angemessen darauf reagiert hat. Das andere ist die für uns inakzeptable Fortsetzung dieses betroffenenfeindlichen Agierens, indem die Mädchenmannschafts-Moderatorinnen in der Diskussion um die Angelegenheit auf Facebook Postings von unsäglicher Betroffenenfeindlichkeit Platz und Raum gaben, während sie zugleich Kritik daran unterbanden und löschten. Die Mädchenmannschaft hat damit ganz bewusst betroffenenfeindlich agiert. Das sitzt tief und das skandalisieren wir hiermit ausdrücklich. Denn es geht für uns nicht an, sich als feministischer Blog einen bewussten Anstrich in Hinblick auf Rape Culture zu geben, das aber faktisch mit einer derartigen Moderation zu konterkarieren.
Was ist konkret geschehen?
Der kritisierte Artikel wurde, nachdem sich die Stimmen der Kritik mehrten (ein Hinweis hätte eigentlich reichen müssen), um einen Zusatz ergänzt und folgendermaßen auf Facebook kommentiert:
„Die Formulierung „Akteur_innen in Geschichte und Kunst“, so wie es im Blogpost stand, ist verändert damit die Trennung im Zusammenhang mit Linda Lovelace klarer wird. Dass die Gewalt, die sie in diesem Kontext erfahren hat, in dem verlinkten Text und auch in unserem Beitrag nicht erwähnt wird, ist tatsächlich problematisch. Danke für die Hinweise.
Der Zusatz im Artikel:
„[Ergänzung: Weitere Informationen zu Linda „Lovelace“ Boreman und der sexualisierten Gewalt, die unter anderem beim Dreh von „Deep Throat“ gegen sie ausgeübt wurde, gibt es beim Guardian, der letztes Jahr einen Hintegrundbericht zum Spielfilm „Lovelace“ und der Involvierung von u.a. Gloria Steinem in jenem veröffentlichte. Es lohnt sich auch, dort auf die weiterführenden Links zu klicken. Danke für die Hinweise hierzu!].“
Die Erwähnung der sexuellen Gewalt ist also einen kleinen Zusatz in eckigen Klammern wert und dass die Vergewaltigungen irgendwie vergessen wurden, ist laut Mädchenmannschaft „tatsächlich problematisch“. Das ist aber auch schon alles. Die gewaltverharmlosende und vergewaltigungsnegierende Bezeichnung von Linda Susan Boreman als „Akteurin des Blowjobs“ wird stehengelassen. Dies ist für sich genommen bereits eine Ungeheuerlichkeit an Ignoranz gegenüber der Leidensgeschichte Boremans.
Doch damit nicht genug: Im korrespondierenden Facebook-Thread spielt sich in Sachen Verteidigung von Rape Culture Erstaunliches ab.
Eine Facebook-Kommentatorin erklärt zu den halbherzigen Zusätzen:
„Als würde es das besser machen: Linda Boreman war keine „Akteurin des Blowjobs“, sie war Betroffene sexueller Gewalt…“
Eine weitere:
„Linda Lovelace wollte diese sexuellen Interaktionen nicht, sie wurde dazu gezwungen. Sie ist keine Akteurin, sondern ein Opfer. Ist das so schwer zu verstehen? Könnt ihr Blowjobs nicht anders glorifizieren, als dafür eine Frau zu benutzen, deren gefilmte Vergewaltigung bis heute fälschlicherweise als „Kunst“ verharmlost wird? Gerade ihr solltet es doch besser wissen und auch können.“
Daraufhin unterbindet die Mädchenmannschaft Kritiken, während sie einer betroffenenbeschuldigenden Kommentatorin, die in nahezu vorbildlicher Weise Rape Culture unterfüttert, bekräftigt und aufrecht erhält, Raum für ihre Äußerungen gewährt:
„Naja Linda Lovelace hat in ihrem Leben sehr viel widersprüchliche Aussagen gemacht. Die Wahrheit ist, dass sie um ihr Geld geprellt wurde, nach dem Film und sich alles Mögliche einwarf, wie so viele um die Zeit. Posthum etwas hinein zu interpretieren, ohne genaue Quellenrecherche, mit einer Protagonistin, die nicht mehr lebt, ist Facebook-Boulevard.“
Die Rückfrage einer Kommentatorin an die Autorin des eben zitierten Kommentars
„Julica Da Costa José, Linda wurde also deiner Ansicht nach nicht vergewaltigt?“
wird durch die Mädchenmannschaft gelöscht.
Die betroffenenbeschuldigende Kommentatorin wendet sich an eine andere Kommentatorin, die einen Artikel über die Vergewaltigungen von Linda Boreman für „Deep Throat“ gepostet hat:
„Mira, in allen Ehren – aber für Dich ist doch alles Vergewaltigung.“
Mehrere Kommentatorinnen intervenieren und stellen sehr kluge Fragen:
„[…] Das macht es für euch dann so bequem, sexuelle Gewalt zu verharmlosen. Wie genau würdet ihr denn Vergewaltigung beschreiben? Sind die Opfer dann auch „Akteurinnen sexueller Gewalt“? Aber was nur macht ihr dann mit den Tätern? Ach ja, die verschwinden bei so einem Diskurs ja einfach. Wie überaus praktisch!“
„Mich würde wirklich interessieren, wie genau ihr eine Vergewaltigung sprachlich „hilfreich“ umschreiben wollt, so ganz sexpositiv. „Sexuelle Interaktion ohne beidseitige Zustimmung?“ oder „Sexueller Akt mit ambivalentem Konsens“?“
Antworten bleiben aus.
Bereits bevor die betroffenenbeschuldigende Kommentatorin aktiv wurde, verwies die Mädchenmannschaft auf die entsprechende Kommentarspalte ihres Blogs, weil keine Ressourcen für die Moderation des Facebook-Threads vorhanden seien. Es sind jedoch ausreichend Ressourcen dafür da, um folgenden Kommentar binnen Sekunden aus dem Diskussionsfaden zu löschen:
„Ja klar. Es wird unbequem und plötzlich sind die Ressourcen futsch. Ne, das Argument zieht nicht. Immer dann, wenn Leutchen sagen, dass was stinkt, dann seid ihr plötzlich nur „FreizeitaktivistInnen“. Ihr übt Gewalt aus, in dem ihr eure Formulierungen so stehen lasst. Ein feministischer Blog, der die Rape Culture bedient: Echt cool. Das Patriarchat sagt danke. Das Übelste aber ist, dass ihr Linda durch eure Ignoranz und das Nichtstun weitere Gewalt zufügt und damit allen anderen, die in der Sexindustrie die Hölle von innen gesehen haben. Mit bestem Wissen und Gewissen. Ne, ich werde mich mit Sicherheit nicht in eure Kommentarspalte begeben. Euer „Diskurs“ ist ein neoliberales Instrument. Prima, dass durch die „Dekonstruktion“ sexuelle Gewalt verschwindet. Und ihr jammert rum, weil die anderen blöden (Netz)FeministInnen das mit intersektionell verstanden haben? Klar, ihr habt das ja selbst voll drauf. Ändert endlich den Artikel mit einem deutlichen Statement und mindestens mit einer Entschuldigung. Ansonsten macht ihr euch mit schuldig. Punkt.“
Ein Vergewaltigungsopfer als „Akteurin des Blowjobs“ zu bezeichnen, ist ein Schlag ins Gesicht für Betroffene sexueller Gewalt und für alle, die in der Sex-Industrie, Zitat der eben erwähnten Facebook-Kommentatorin, „die Hölle von innen gesehen haben“. Offensichtlich scheint es wichtiger zu sein, an der „Akteurin“ festzuhalten, anstatt einem Vergewaltigungsopfer die Würde, die ihr posthum nun ein weiteres Mal genommen wurde, mit einer Geste zurückzugeben.
Es fehlt uns jedes Verständnis dafür, dass die Mädchenmannschaft Kommentare stehen lässt, die bei jedem Menschen, der hinreichend sensibilisiert ist (und das erwarten wir von der Mädchenmannschaft), Assoziationen zu allseits bekannten Vergewaltigungsmythen wach werden lässt und im Gegenzug Kritik daran in Sekundenschnelle unterbindet:
„Naja, sie hat es ja auch gewollt …“, „Sie hat sich aber sehr widersprochen …“, „Sie hatte ja Alkohol getrunken …“.
Haben wir das nicht alle schon einmal, nein hunderttausenfach gehört? Wir wissen, dass genau diese Sätze, die Aggressionen gegen Betroffene sind, Tätern einen bequemen gesellschaftlichen Rahmen schaffen und Betroffene noch weiter in Selbstzweifel und Isolierung treiben. Es gab Zeiten, da wusste das auch die Mädchenmannschaft. Es wäre für die Mädchenmannschaft ein Leichtes gewesen, so zu reagieren, dass der Lebenskontext von Linda in das wahrheitsgemäße Licht gerückt wird: Sexuelle Gewalt und Folter.
Unverständlich bleibt für uns auch, warum der Großteil der feministischen Netz-Community angesichts dieser offenen Verteidigung von Rape Culture seitens der Mädchenmannschaft stumm blieb. Spätestens mit unserem ersten Artikel dürfte diese ja bemerkt worden sein. Im Allgemeinen verbreitet sich in dieser Community Fragwürdiges in Windeseile, hier jedoch nicht. Macht, auch Medienmacht, spielt wohl eine Rolle bei der Überlegung, ob Kritik geäußert oder geschwiegen wird. Das ist jedoch ein Handlungsmaßstab, der meilenweit von Solidarität mit Betroffenen entfernt ist, ob diese lebendig oder bereits verstorben sind und der stattdessen genau jene Haltung widerspiegelt, die gesamtgesellschaftlich den Kampf gegen Rape Culture so schwer macht.
Damit, dass die Mädchenmannschaft sich öffentlich gegen eine prominente Betroffene gestellt und in der Diskussion darum konsequent betroffenenfeindlich agiert hat, hat sie wissentlich und willentlich den Schwenk zu einem täterfreundlichen Verein vollzogen. Sie stellen sich damit nicht nur gegen Linda Susan Boreman, sondern gegen alle Betroffenen. Dies gilt für uns solange, wie es keine Entschuldigung für die geschilderten Vorgänge gibt und eine grundlegende Revision, wie so etwas möglich war.
Habt ihr schon mal erlebt, dass Mädchenmannschaft sich entschuldigt hätte?
Ich nicht.
Ob sie es hier tun, bleibt ihnen überlassen. Wenn nicht, gilt für uns eben obiges.
Die Mädchenmannschaft war offensichtlich mal ein schönes Projekt, hat sich aber durch ihre Kommentarpolitik und der Unterdrückung jeglichen Meinungspluralismus in meinen Augen inzwischen ins Abseits geschossen. The one and only Feminismus, Mädchenmannschaftsstyle? Meiner ist es sicher nicht.
Dieser Status als einzig legitime Elite mit ggü. Abweichlerinnen sofortigen Bestrafungsreflex (durch Entzug der Kommentierungserlaubnis oder eben Löschungen) liefert allerdings auch die Erklärung dafür, warum die Mädchenmannschaft in der „Szene“ so gut wie nie kritisiert, dafür aber immer pflichtschuldig verlinkt wird.
Dieser Fall macht erneut deutlich, dass es der derzeitigen feministischen Theorie an Konsistenz mangelt. In der Folge kommt es zu innertheoretischen Interessenkonflikten, „Opferhierarchien“ und Doppelstandards.
Da hat die weiße Cishete im Pornobusiness, die auf Grund dessen zwar recht gute Karten hat im Diskriminierungspoker, das Nachsehen, wenn es sich bei der Autorin des betr. Blowjob-Glorifizierungstextes um eine transsexuelle PoC handelt. Und da man eh „sex positiv“ eingestellt ist, KANN es gar keine Vergewaltigung gewesen sein.
Mir geht es da wie Robin: Die Mädchenmannschaft nervt mich mittlerweile nur noch. Ich (obwohl Akademikerin) empfinde sie als elitär, ausschließend und letzten Endes als das, was sie so fröhlich bekämpfen: Eine Gruppe weißer Mittelschichts-Frauen mit Universitätsabschluss, die die alleinige Deutungshoheit für sich beansprucht.
Une eine Frage wie „Julica Da Costa José, Linda wurde also deiner Ansicht nach nicht vergewaltigt?” zu löschen, ist schlicht albern. Mit welcher Begründung wurde das gerechtfertigt?