Wie ein mögliches Vergewaltigungsopfer zur Schuldigen gemacht wird
Am 20.1.2016 beobachteten wir den ersten Prozesstag des Schadensersatzprozesses von Jörg Kachelmann gegen Claudia D. Sie hatte ihn 2010 wegen Vergewaltigung angeklagt, und er wurde schließlich nach dem Prinzip „im Zweifel für den Angeklagten“ freigesprochen (Nur 8,4% aller Anzeigen wegen Vergewaltigung enden überhaupt in einer Verurteilung). Nun will er sich von ihr die Kosten für von ihm im Auftrag gegebene Gutachten, die maßgeblich seinen Freispruch begünstigten, zurückklagen. Den ersten Schadensersatzprozess hatte er verloren, dies ist die Berufungsverhandlung.
Wie der erste Prozesstag verlief, seht ihr unten samt unserer Einschätzung. Das Gericht will Claudia D. offenbar keine Chance geben. Umso wichtiger ist breiter Protest und Unterstützung. Am 1. März um 10:00 ist der nächste Prozesstermin. Es könnte sein, dass es dann schon zu einem Urteil kommt. Wir rufen dazu auf, mit uns gegen die Tendenz der Justiz, Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben, zu protestieren und den Prozess zu beobachten. Ort: Hammelsgasse 1, Frankfurt am Main. Zeitpunkt: 9:30.
Prozessbericht
Nachdem wir vor dem Gericht gegen justizielle Täter-Opfer-Umkehr protestiert hatten, betraten wir den Gerichtssaal, um den Prozess zu beobachten. Die Verhandlung war diesmal öffentlich, anders als beim vorherigen Schadensersatzprozess, den Kachelmann verloren hat. Kachelmann selbst erschien bei dem von ihm angestrengten Prozess nicht, Claudia D. hingegen schon. Er wird in diesem Prozess von den RechtsanwältInnen Johann Schwenn und Ann-Marie Welker vertreten.
Der Vorsitzende Richter Sagebiel (Teil eines rein männlich besetzten Senats mit zwei beisitzenden Richtern) machte von vornherein klar, dass Kachelmanns Klage für ihn „Hand und Fuß“ hat.
An diesem ersten Prozesstag wurde in erster Linie darüber verhandelt, ob die Verletzungen, die rechtsmedizinisch bei Claudia D. festgestellt worden waren, fremd- oder selbstverschuldet waren. Daran hängt sich nämlich die Argumentation von Kachelmanns Rechtsvertretung auf, der sich als Opfer einer Falschbeschuldigung sieht: solche Verletzungen muss man ja irgendwie erklären können, wenn sie offiziell festgestellt wurden und es angeblich keine Gewalttat gab. Kachelmann behauptet nun, Claudia D. müsse sich diese selbst beigebracht haben und interpretiert sie als Beweis für eine Falschbeschuldigung.
Das Gericht hatte zur Klärung dieser Frage den Rechtsmediziner Verhoff als Gutachter bestellt. Dessen Gutachten beruhte auf der erneuten Sichtung der Gutachten aus dem Strafprozess, darunter diejenigen, die durch von Kachelmann bestellte Gutachter erstellt worden waren.
Einen eigenen Rechtsmediziner hatte die Beklagte als Beistand mit dabei, Rainer Mattern, der die rechtsmedizinische Stellungnahme schrieb, welche im Jahr 2010 zur Festnahme von Kachelmann führte. Er ist der einzige Rechtsmediziner, der Claudia D. persönlich untersucht hat, was direkt am Tag der Anzeigeerstattung geschah. Mattern wurde weder von Claudia D. noch von Kachelmann bezahlt, und hat damals neutral, unabhängig und wissenschaftlich fundiert das Gutachten erstellt. Er war damals zu dem Schluss gekommen, dass sich anhand der Verletzungen offensichtliche Widersprüche zum geschilderten Tatverlauf nicht feststellen ließen. Selbstverletzungen könnten nicht ausgeschlossen werden, ungewöhnlich dafür wären aber die großen Hämatome.
Gutachter Verhoff stimmte zwar damit überein, dass die sechs Verletzungen sowohl fremd- als auch selbstinduziert sein könnten. Er ging dann aber von ganz spezifischen Annahmen aus,
wie es hätte sein müssen, wenn eine Vergewaltigung stattfand. Ihm zufolge muss sich um ein „dynamisches Geschehen“ gehandelt haben. Und da zu dieser hypothetischen Situation die Verletzungen nicht passen, kann es ihm zufolge nur um Selbstverletzungen gehandelt haben.
Auch ging Verhoff bei der Frage der Plaubsibilität der Verletzungen offenbar fest davon aus, dass die Beine gespreizt gewesen sein müssen, obwohl Claudia D. es so nie ausgesagt hatte. Andere mögliche Körperhaltungen hatte er in seinem Gutachten nicht in Betracht gezogen.
Ob Verhoff mit diesen hypothetischen Setzungen das Gericht überzeugt, ist also entscheidend für die gesamte Klage. Entsprechend elementar sind die Nachfragen des Verteidigers von Claudia D., Manfred Zipper, wie gut Verhoff diese Annahme begründen kann. Eine Schockstarre, das unter Fachleuten bekannte Freezing, ist bei Vergewaltigungen zum Beispiel nicht ungewöhnlich.
Doch Verhoff wich den Fragen aus und konnte nicht begründen, warum nicht auch ein anderes als ein „dynamisches“ Szenario denkbar wäre.
Auffällig war hier das Verhalten des Vorsitzenden Richters: Richter Sagebiel schwatzte während dieser Befragung mit seinem Richterkollegen. Als Verteidiger Zipper ihn diesbezüglich ansprach, erwiderte Sagebiel: „Ich kann das, ich bin dazu in der Lage“.
Dies war nicht der einzige Fall, bei dem die Beklagtenseite von Sagebiel abfällig bis unverschämt behandelt wurde. So als auf Claudia D.‘s Einwand hin, dass es auch ganz anders hätte sein können als von Verhoff dargestellt, Seibold sie zurechtwies, dass sie das ursprünglich selbst hätte darstellen müssen, damit dies im Prozess erwägt werden kann. Doch lässt sich daraus, dass sie etwas nicht erwähnt hat, nicht eindeutig auf ein hypothetisches Szenario schließen – denn auch ein solches hatte sie zuvor nicht erwähnt.
Als Claudia D. den Mut fand, dem Richter bei einer Aussage zu widersprechen, fuhr er sie mit „Ich bin hier immer noch der Chef im Ring“ an und verbat sich ihre Intervention.
Unser Kommentar
Es ist legitim, dass der Richter zu Beginn der Verhandlung auf Grund der Aktenlage seine Tendenz deutlich macht. Es kann sogar sinnvoll sein, damit die jeweils andere Seite das weiß. Das spricht nicht gleich für Voreingenommenheit. Aber wenn ein Richter so offensichtlich nicht daran interessiert ist, was die Befragung des Gutachters durch die Beklagtenseite erbringt und stattdessen mit seinem Richterkollegen Schwätzchen hält; wenn er den Verteidiger anfährt, sobald dieser zu Recht darum bittet, dass der Richter zuhört, dann spricht dies sehr wohl für Voreingenommenheit. Insbesondere muss die Beklagtenseite die Möglichkeit haben Fragen zu stellen, ohne dass diese als „unnötig“ vom Tisch gewischt werden. Von einem ergebnisoffen geführten Prozess, wie ihn Kachelmanns Anwalt Schwenn in einem unmittelbar nach dem Prozesstag gemachten Interview bezeichnete, kann nach unserer Meinung demnach offensichtlich von Anfang an keine Rede sein.
Was den Gutachter angeht, ging er ganz selbstverständlich aus von den Prämissen, dass a) Vergewaltigung ein „hochdynamisches Geschehen“ ist, die Möglichkeit einer Schockstarre/Freezing wurde gar nicht in Betracht gezogen und b) dass Opfer automatisch ihre Beine spreizen wenn jemand versucht sie zu vergewaltigen. Nur mit diesen Vorannahmen kann Verhoff die Schlüsse über angebliche Selbstverletzungen anstellen, die nicht auf Wissen über das Tatgeschehen, sondern auf bloßen Vermutungen beruhen und die vor allem sehr zugunsten der Klägerseite/Kachelmann wirken.
Obwohl hier über einen möglichen Vergewaltigungsfall verhandelt wird, ist Kompetenz für Sexualstraftaten offensichtlich nicht vorhanden und wird auch nicht als nötig vorausgesetzt. So kann Verhoff mit seinen Spekulationen vor Gericht durchkommen, insbesondere, da der Richter Sagebiel an einer kritischen Hinterfragung derselben kein Interesse zeigt. Sagebiels Verhalten gegenüber Claudia D. als einem möglichen Vergewaltigungsopfer entbehrte jeder Sensibilität. Stattdessen fuhr er sie an, sobald sie es einmal wagte, sich in die Verhandlung einzubringen.
Dass das Gericht bezüglich sexueller Gewalt keine Kompetenz besitzt zeigte sich auch daran, dass es ihm zufolge Claudia D. unglaubwürdig macht, dass sie sagt sie kann sich nicht erinnern. Verhoff meinte, dass Menschen, die sich selbst verletzt haben häufig ganz schnell mit ihrem Lügengebäude einbrechen, und dass es schon ungewöhnlich sei, dass sie ihre Version bis heute konstant aufrechterhalten hätte. Die Schlussfolgerung, dass das daran liegen könnte, dass es die Wahrheit ist, wollte er wohl nicht zulassen.
Offenbar war es dem Richter ein Anliegen, der Beklagten mehrfach seine Missbilligung ihrer Fragen und Aussagen klarzumachen. So unterbrach er ihre Versuche, ihren Einwand gegen die auf uns nicht selten befremdlich wirkenden Ausführungen des als Zeugen geladenen Frankfurter Rechtsmediziners Prof. Marcel Verhoff deutlich zu machen. Als beispielsweise Claudia D. an einer Stelle den Mut fand, der Aussage im Gerichtssaal zu widersprechen, dass eine Frage, die sie stellte, angeblich mehrmals besprochen und bereits beantwortet sei, fuhr Richter Sagebiel sie mit dominanter Stimme und Parolen wie „Jetzt wird es mir aber zu bunt hier“ und „Ich bin hier immer noch der Chef
im Ring“ an. Dieses Klima der Voreingenommenheit und Bevormundung nicht nur der Beklagten, sondern auch ihres Rechtsanwaltes Manfred Zipper und ihres Beistands Professor Mattern gegenüber war für uns durch das gesamte Verfahren hindurch spürbar.
Ganz gegenteilig stellte sich das Verhältnis des Richters zur Klägerseite dar. So konnten wir uns des Eindrucks einer besonderen Gewogenheit zwischen Richter Sagebiel und Kachelmanns Anwalt Schwenn nicht erwehren. Die beiden Altherren sahen sich oft und anscheinend gerne an und nickten sich entweder gelegentlich zu oder schüttelten auch einmal gemeinsam den Kopf.
Unser Eindruck ist: der Prozess wird äußert unfair geführt. Es besteht offensichtlich sowohl beim vom Gericht bestellten Gutachter, als auch beim Gericht selbst eine deutliche Schlagseite in Richtung Kachelmann.
Möglicherweise wird bereits am kommenden Prozesstag ein Urteil gefällt. Mit einer derartigen Beweisaufnahme lässt sich nichts Gutes erhoffen. Anders als in einem Strafverfahren darf der Richter in einem Zivilprozess nämlich auf Basis von Wahrscheinlichkeit urteilen.
Daher rufen wir dazu auf, am kommenden Dienstag, den 1. März, mit uns gemeinsam vor dem Gericht gegen die allgemeine Tendenz der Gerichte, nicht nur Vergewaltiger freizusprechen, sondern sogar die Opferzeuginnen zu bestrafen, zu protestieren.
Übrigens: dieser Bericht musste mit großer Sorgfalt formuliert werden. Kachelmann verklagt alle, die es wagen, Claudia D. als Vergewaltigungsopfer zu bezeichnen. Auch andere Äußerungen werden sofort abgemahnt; das Schauspiel von Kachelmanns Treibjagd auf ihm nicht genehme Medienbeiträge kann man zum Teil auf Twitter mitverfolgen.
[…] die ihn im Vergewaltigungsprozess zu einem Freispruch „in dubio pro reo“ ermöglichten. Die Kumpanei von Richter, Klägerseite und Gutachter lassen für das Urteil nichts Gutes […]