Dies ist ein gemeinsames Statement der Berliner Organisations-Gruppe für die Solidaritäts-Demo für Gina-Lisa Lohfink und der dazu aufrufenden Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt (IfGbsG).
Zur Entstehungsgeschichte und Formierung des Organisationsbündnisses
Die in Rhein-Main ansässige IfGbsG versuchte Anfang Juni, nachdem der erste Prozesstag Gina Lisa Lohfinks mit einem Zusammenbruch von ihr endete, ihnen bekannte Berlinerinnen zur Unterstützung von Frau Lohfink für den nächsten Prozesstag zu mobilisieren. Da diese aus Zeitmangel absagten, rief die IfGbsG schließlich mit einem Facebook-Event zur Selbstorganisation für eine Unterstützungs-Aktion auf. Über dieses Medium fanden sich spontan Aktivistinnen aus Berlin zusammen, um die Organisation vor Ort zu übernehmen. Kollektives Fundament einer gemeinsamen Organisation war zum Gründungszeitpunkt die gemeinsame Wut, die es ermöglichte, dass sich bis dato Menschen, die sich gegenseitig – und damit auch die jeweilige Haltung zu anderen feministischen Kernthemen – nicht kannten, zusammenschlossen. Das Berliner Organisations-Team hatte bei einem ersten Treffen beschlossen, Grundsatzdebatten über den Fall Gina-Lisa hinaus, auszuklammern sowie eigene Haltungen dem geschlossenen Wirken hinten angestellt. Zu einem späteren Zeitpunkt kam es diesbezüglich zu einem gemeinschaftlichen Konsens des Gesamtbündnisses, das diese Entscheidung bekräftigte.
Bei dem Organisationsbündnis handelt es sich folglich nicht um eine politisch homogene Gruppe. Diesen Umstand hätten wir uns von Kritiker_innen entsprechend berücksichtigt gewünscht. Klar geworden ist aber auch, dass wir die Konstellationen, die eine solche Organisation stellen, zukünftig noch deutlicher transparent machen werden.
Der Weg der spontanten Formierung eines Organisations-Teams kann genauso fruchtbar sein, wie er sowohl Fehler als auch Konflikte mit sich bringen kann. Im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir, so denken wir, all dies bestmöglich und zielführend gelöst und vor allem viel Wichtiges daraus gelernt.
Innerfeministische Differenzen
Die Wogen um den letzten Prozesstag von Gina-Lisa Lohfink sind dabei, abzuklingen. Die Unterstützungsdemo für Gina-Lisa Lohfink am 27. Juni ist zu einem eindrucksvollen Zeugnis von Solidarität mit ihr und mit allen Betroffenen von sexueller Gewalt geworden.
Doch wenige Tage vor der Demo stand dies alles auf der Kippe. Wir möchten aus diesem Grund zu einer grundsätzlichen Diskussion über innerfeministische Kritik anregen.
Differenzen unter Feministinnen, das zeigt auch ein Blick in feministische Geschichte, hat es schon immer gegeben. Dies betraf von jeher sowohl Debatten um die Intersektion von Diskriminierungsformen, als auch zu klassischen „Streit“-Themen wie z. B. Pornographie, BDSM, etc. In der Art, wie diese Differenzen ausgetragen wurden, gab und gibt es allerdings große Unterschiede. Aktuell zeichnen sich vehemente und unseres Erachtens nicht tolerierbare Tendenzen in der Art der Austragungsweise ab. Wir sehen den Kern des Problems aktuell in den unterschiedlichen Positionen zur Frage der Prostitution, wollen diese aber nicht inhaltlich diskutieren. Stattdessen wollen wir auf die Frage hinaus, wie sich über solche Differenzen hinweg solidarisch agieren lässt und wie mit diesen Differenzen angemessen und konstruktiv umgegangen werden kann.
Fünf Tage vor der Demo rief das #ausnahmslos-Bündnis zu Solidarität mit Gina-Lisa Lohfink auf und dazu, an der Demo teilzunehmen (das Bündnis ist dem feministischen Spektrum zuzuordnen, das Prositution als Arbeit betrachtet). Es distanzierte sich zugleich von der aufrufenden IfGbsG und „etwaiger weiterer Solidaritätsbekunder_innen“, indem es ihnen Sexarbeiter_innen-Feindlichkeit und Trans*-Feindlichkeit vorwarf. Die Initiative – und mit ihr das Berliner Organisations-Team – wurde damit öffentlich und ohne Belege feindseliger Einstellungen gegenüber diskriminierten Personengrupppen bezichtigt.
Öffentliche Anschuldigungen sollten grundsätzlich gut abgewogen werden, sie sollten vor allem aber auch belegt sein. Das sind sie in diesem Fall nicht, weil sie es auch nicht sein können.
Die IfGbsG vertritt seit Anfang 2014 eine prostitutionskritische Haltung. Allein, dass die IfGbsG das Nordische Modell befürwortet, berechtigt nicht dazu, ihr Sexarbeiter_innen-Feindlichkeit vorzuwerfen, zumal es eine wichtige Forderung des Nordischen Modells ist, dass Menschen in der Prostitution entkriminalisiert werden und dass ihnen – im Falle eines Ausstiegswunsches – notwendige Ressourcen bereit gestellt werden. Auch ignoriert eine solche Bewertung die Tatsache, dass Prostitutionsüberlebende zentraler Teil der abolitionistischen Bewegung sind. Seltsam mutet dazu noch Vorwurf der Trans*-Feindlichkeit an, der jeglicher Grundlage entbehrt.
Von verschiedenen Seiten hörten wir darüber hinaus von Betroffenen sexueller Gewalt, dass sie den Aufruf des #ausnahmslos-Bündnisses entgegen der in ihm geäußerten Absicht als entsolidarisierend und verletzend empfanden.
Eine Distanzierung von veranstaltenden Gruppierungen bei Protesten, die man unterstützt, ist ein probates Mittel, um einerseits Solidarität zu zeigen, andererseits aber Differenzen nicht unter den Teppich zu kehren. Differenzen in punkto Prostitution bestehen hier zweifelsohne. In diesem Fall handelt es sich aber nicht um eine einfache Distanzierung, sondern um eine Diffamierung.
Die Wirkungen dieser Diffamierung waren destruktiv:
Engagierte Personen aus der Organisations-Gruppe zogen sich aus der Demo-Organisation heraus. Ihnen folgten Rednerinnen, die sie eingeladen hatten. Der Hauptgrund für den Rückzug aus dem Organisations-Team war, dass sie bei anderen feministischen Events bereits innerfeministische Angriffe und Shitstorms erfahren hatten und diese teils existenzgefährdende Auswirkungen auf sie gehabt hatten. Sie konnten und wollten sich dies kein weiteres Mal zumuten. In diesen Tagen direkt vor der Demo war nicht klar, wie sich die Planung weiter entwickelt: Ob noch weitere Mitstreiterinnen abspringen und ob die Verunsicherung durch die Diffamierung bei den verbliebenen Orga-Frauen noch Energien und Bereitschaft für eine Demovorbereitung lässt.
Der Effekt des „Solidaritätsaufrufes“ des #ausnahmslos-Bündnisses hätte also sein können, dass die Demo gar nicht stattfindet.
Dass sie es doch tat, ist dem engagierten Berliner Organisations-Team zu verdanken und Frauen aus der IfGbsG, die sich schlicht darauf fokussierten, die Aktion für Gina-Lisa Lohfink hinzubekommen. Sie fand also trotz und nicht wegen des sogenannten Solidaritätsaufrufes statt.
Wir sehen in der Art, wie mit unterschiedlichen Positionen umgegangen wird, ein über dieses Event und seine Gefährdung durch die Diffamierung hinaus weisendes Problem. Schließlich beruhte der Rückzug von Frauen aus dem Orga-Team auf voran gegangenen Erfahrungen. Was sie konkret erlebten, wissen wir nicht, aber die Folgen waren offenbar gravierend, sowohl, was die persönliche Existenzgefährdung als auch was weitergehendes Engagement für feministische Aktionen betrifft.
Wir möchten daher die Frage, wie solidarische innerfeministische Kritik aussehen kann oder aussehen sollte, in den Mittelpunkt stellen.
Es gehört zu unserem feministischen Selbstverständnis, dass diskriminierendes Verhalten und Einstellungen kritisiert und benannt werden sollten. Eine Kritik sollte in einem solchen Falle aber auch als solche formuliert werden und darüber hinaus gut begründet und belegt sein. Dass sich in bestimmten feministischen Fragestellungen, die sich nicht auf Diskriminierungen beziehen, unterschiedliche Haltungen ausprägen, ist ein Fakt, dem sich adäquat nicht mit einer Diffamierung der Gegenseite begegnen lässt. Eine Auseinandersetzung sollte auf argumentativer Ebene erfolgen, um der Gegenseite auf Augenhöhe zu begegnen – dies ist ein Gebot der Fairness. Aus unserer Sicht ist es wichtig, Differenzen innerhalb des Feminismus aushalten zu können. Bei einer Solidaritätsaktion, wo es darum geht, Kräfte für Betroffene von sexueller Gewalt zu bündeln, muss ein angemessener Umgang mit einem solchen Meinungspluralismus gefunden werden. Diese Regeln der Fairness sollten um so mehr bei einem Machtungleichgewicht eingehalten werden. Wenn ein medial gut vernetztes Bündnis wie #ausnahmslos eine kleine Initiative ohne Belege öffentlich diffamiert, wird offensichtlich weder fair agiert noch das Machtungleichgewicht reflektiert, bei dem die IfGbsG den deutlich „Kürzeren zieht“ und sich um so schwerer gegen derartige Verleumdungen wehren kann.
Nach dem erfolgreich verlaufenen Protest für Gina-Lisa Lohfink wurde die IfGbsG und das Berliner Organisations-Team nun mit einem weiteren Vorwurf seitens der Mädchenmannschaft (ebenfalls dem feministischen Spektrum zuzordnen, das Prostitution als Arbeit betrachtet) konfrontiert, nämlich dem des Rassismus, dem die Autorin Magda Albrecht zusätzlich zu dem der Sexarbeiterinnen- und Trans*-Feindlichkeit erhob. Auch sie führt keine Belege an. In dem Artikel wurde zuerst behauptet, dass auf Seiten der Initiativen-Frauen der Begriff „white slavery“ verwendet würde. Dies ist eine unwahre Behauptung. Nachdem der Artikel schon hunderte von Male geteilt und um ein Vielfaches öfter gelesen worden sein muss, wurde diese Behauptung entfernt, ohne in einer Notiz auf die Bearbeitung hinzuweisen. Eine Frau aus dem Berliner Organisations-Team verwahrte sich denn auch in einem Kommentar gegen diese Diffamierung, woraufhin als einziger Hinweis, wo denn die diskriminierenden Äußerungen zu finden seien, auf angebliche, aber unbenannte Facebook-Kommentare und Twitter-Replies verwiesen wurde. Hinweise auf konkrete Quellen erfolgten jedoch nicht.
Wir haben in den letzten Tagen vor der Demo und den Wochen, seit wir den Aufruf zu dieser Protestaktion starteten, ein bewegendes Ausmaß an Zuspruch, Unterstützung und Zusammenhalt erfahren. Auch das hat es uns ermöglicht, trotz dieser öffentlichen Angriffe die Solidaritätskundgebung für Gina-Lisa Lohfink zu organisieren, die so wichtig für sie, aber auch für viele andere Betroffene ist. Der Prozess ist noch nicht zu Ende, am 8. August steht der nächste Termin an. Das Organisations-Team Berlin hat von Vornherein das Thema Prostitution für dieses Event ausgeklammert, um ein breites Bündnis und Solidarität von verschiedenen Seiten zu ermöglichen. Die IfGbsG steht ebenfalls hinter diesem Entschluss.
Sowohl die IfGbsG als auch das Berliner Bündnis wünschen sich, dass feministische Gruppierungen, die Gina-Lisa Lohfink und alle anderen Betroffenen von sexueller Gewalt unterstützen wollen, über die bestehenden divergierenden Haltungen zu feministischen Kernthemen hinaus, politische Bündnisfähigkeit beweisen. Dazu gehört ein fairer Umgang mit unterschiedlichen Positionen, der diese nicht negiert, aber auch nicht zum Anlass für Diffamierungen nimmt.