Dies ist ein gemeinsames Statement der Berliner Organisations-Gruppe für die Solidaritäts-Demo für Gina-Lisa Lohfink und der dazu aufrufenden Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt (IfGbsG).
Zur Entstehungsgeschichte und Formierung des Organisationsbündnisses
Die in Rhein-Main ansässige IfGbsG versuchte Anfang Juni, nachdem der erste Prozesstag Gina Lisa Lohfinks mit einem Zusammenbruch von ihr endete, ihnen bekannte Berlinerinnen zur Unterstützung von Frau Lohfink für den nächsten Prozesstag zu mobilisieren. Da diese aus Zeitmangel absagten, rief die IfGbsG schließlich mit einem Facebook-Event zur Selbstorganisation für eine Unterstützungs-Aktion auf. Über dieses Medium fanden sich spontan Aktivistinnen aus Berlin zusammen, um die Organisation vor Ort zu übernehmen. Kollektives Fundament einer gemeinsamen Organisation war zum Gründungszeitpunkt die gemeinsame Wut, die es ermöglichte, dass sich bis dato Menschen, die sich gegenseitig – und damit auch die jeweilige Haltung zu anderen feministischen Kernthemen – nicht kannten, zusammenschlossen. Das Berliner Organisations-Team hatte bei einem ersten Treffen beschlossen, Grundsatzdebatten über den Fall Gina-Lisa hinaus, auszuklammern sowie eigene Haltungen dem geschlossenen Wirken hinten angestellt. Zu einem späteren Zeitpunkt kam es diesbezüglich zu einem gemeinschaftlichen Konsens des Gesamtbündnisses, das diese Entscheidung bekräftigte.
Bei dem Organisationsbündnis handelt es sich folglich nicht um eine politisch homogene Gruppe. Diesen Umstand hätten wir uns von Kritiker_innen entsprechend berücksichtigt gewünscht. Klar geworden ist aber auch, dass wir die Konstellationen, die eine solche Organisation stellen, zukünftig noch deutlicher transparent machen werden.
Der Weg der spontanten Formierung eines Organisations-Teams kann genauso fruchtbar sein, wie er sowohl Fehler als auch Konflikte mit sich bringen kann. Im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir, so denken wir, all dies bestmöglich und zielführend gelöst und vor allem viel Wichtiges daraus gelernt.
Innerfeministische Differenzen
Die Wogen um den letzten Prozesstag von Gina-Lisa Lohfink sind dabei, abzuklingen. Die Unterstützungsdemo für Gina-Lisa Lohfink am 27. Juni ist zu einem eindrucksvollen Zeugnis von Solidarität mit ihr und mit allen Betroffenen von sexueller Gewalt geworden.
Doch wenige Tage vor der Demo stand dies alles auf der Kippe. Wir möchten aus diesem Grund zu einer grundsätzlichen Diskussion über innerfeministische Kritik anregen.
Differenzen unter Feministinnen, das zeigt auch ein Blick in feministische Geschichte, hat es schon immer gegeben. Dies betraf von jeher sowohl Debatten um die Intersektion von Diskriminierungsformen, als auch zu klassischen „Streit“-Themen wie z. B. Pornographie, BDSM, etc. In der Art, wie diese Differenzen ausgetragen wurden, gab und gibt es allerdings große Unterschiede. Aktuell zeichnen sich vehemente und unseres Erachtens nicht tolerierbare Tendenzen in der Art der Austragungsweise ab. Wir sehen den Kern des Problems aktuell in den unterschiedlichen Positionen zur Frage der Prostitution, wollen diese aber nicht inhaltlich diskutieren. Stattdessen wollen wir auf die Frage hinaus, wie sich über solche Differenzen hinweg solidarisch agieren lässt und wie mit diesen Differenzen angemessen und konstruktiv umgegangen werden kann.
Fünf Tage vor der Demo rief das #ausnahmslos-Bündnis zu Solidarität mit Gina-Lisa Lohfink auf und dazu, an der Demo teilzunehmen (das Bündnis ist dem feministischen Spektrum zuzuordnen, das Prositution als Arbeit betrachtet). Es distanzierte sich zugleich von der aufrufenden IfGbsG und „etwaiger weiterer Solidaritätsbekunder_innen“, indem es ihnen Sexarbeiter_innen-Feindlichkeit und Trans*-Feindlichkeit vorwarf. Die Initiative – und mit ihr das Berliner Organisations-Team – wurde damit öffentlich und ohne Belege feindseliger Einstellungen gegenüber diskriminierten Personengrupppen bezichtigt.
Öffentliche Anschuldigungen sollten grundsätzlich gut abgewogen werden, sie sollten vor allem aber auch belegt sein. Das sind sie in diesem Fall nicht, weil sie es auch nicht sein können.
Die IfGbsG vertritt seit Anfang 2014 eine prostitutionskritische Haltung. Allein, dass die IfGbsG das Nordische Modell befürwortet, berechtigt nicht dazu, ihr Sexarbeiter_innen-Feindlichkeit vorzuwerfen, zumal es eine wichtige Forderung des Nordischen Modells ist, dass Menschen in der Prostitution entkriminalisiert werden und dass ihnen – im Falle eines Ausstiegswunsches – notwendige Ressourcen bereit gestellt werden. Auch ignoriert eine solche Bewertung die Tatsache, dass Prostitutionsüberlebende zentraler Teil der abolitionistischen Bewegung sind. Seltsam mutet dazu noch Vorwurf der Trans*-Feindlichkeit an, der jeglicher Grundlage entbehrt.
Von verschiedenen Seiten hörten wir darüber hinaus von Betroffenen sexueller Gewalt, dass sie den Aufruf des #ausnahmslos-Bündnisses entgegen der in ihm geäußerten Absicht als entsolidarisierend und verletzend empfanden.
Eine Distanzierung von veranstaltenden Gruppierungen bei Protesten, die man unterstützt, ist ein probates Mittel, um einerseits Solidarität zu zeigen, andererseits aber Differenzen nicht unter den Teppich zu kehren. Differenzen in punkto Prostitution bestehen hier zweifelsohne. In diesem Fall handelt es sich aber nicht um eine einfache Distanzierung, sondern um eine Diffamierung.
Die Wirkungen dieser Diffamierung waren destruktiv:
Engagierte Personen aus der Organisations-Gruppe zogen sich aus der Demo-Organisation heraus. Ihnen folgten Rednerinnen, die sie eingeladen hatten. Der Hauptgrund für den Rückzug aus dem Organisations-Team war, dass sie bei anderen feministischen Events bereits innerfeministische Angriffe und Shitstorms erfahren hatten und diese teils existenzgefährdende Auswirkungen auf sie gehabt hatten. Sie konnten und wollten sich dies kein weiteres Mal zumuten. In diesen Tagen direkt vor der Demo war nicht klar, wie sich die Planung weiter entwickelt: Ob noch weitere Mitstreiterinnen abspringen und ob die Verunsicherung durch die Diffamierung bei den verbliebenen Orga-Frauen noch Energien und Bereitschaft für eine Demovorbereitung lässt.
Der Effekt des „Solidaritätsaufrufes“ des #ausnahmslos-Bündnisses hätte also sein können, dass die Demo gar nicht stattfindet.
Dass sie es doch tat, ist dem engagierten Berliner Organisations-Team zu verdanken und Frauen aus der IfGbsG, die sich schlicht darauf fokussierten, die Aktion für Gina-Lisa Lohfink hinzubekommen. Sie fand also trotz und nicht wegen des sogenannten Solidaritätsaufrufes statt.
Wir sehen in der Art, wie mit unterschiedlichen Positionen umgegangen wird, ein über dieses Event und seine Gefährdung durch die Diffamierung hinaus weisendes Problem. Schließlich beruhte der Rückzug von Frauen aus dem Orga-Team auf voran gegangenen Erfahrungen. Was sie konkret erlebten, wissen wir nicht, aber die Folgen waren offenbar gravierend, sowohl, was die persönliche Existenzgefährdung als auch was weitergehendes Engagement für feministische Aktionen betrifft.
Wir möchten daher die Frage, wie solidarische innerfeministische Kritik aussehen kann oder aussehen sollte, in den Mittelpunkt stellen.
Es gehört zu unserem feministischen Selbstverständnis, dass diskriminierendes Verhalten und Einstellungen kritisiert und benannt werden sollten. Eine Kritik sollte in einem solchen Falle aber auch als solche formuliert werden und darüber hinaus gut begründet und belegt sein. Dass sich in bestimmten feministischen Fragestellungen, die sich nicht auf Diskriminierungen beziehen, unterschiedliche Haltungen ausprägen, ist ein Fakt, dem sich adäquat nicht mit einer Diffamierung der Gegenseite begegnen lässt. Eine Auseinandersetzung sollte auf argumentativer Ebene erfolgen, um der Gegenseite auf Augenhöhe zu begegnen – dies ist ein Gebot der Fairness. Aus unserer Sicht ist es wichtig, Differenzen innerhalb des Feminismus aushalten zu können. Bei einer Solidaritätsaktion, wo es darum geht, Kräfte für Betroffene von sexueller Gewalt zu bündeln, muss ein angemessener Umgang mit einem solchen Meinungspluralismus gefunden werden. Diese Regeln der Fairness sollten um so mehr bei einem Machtungleichgewicht eingehalten werden. Wenn ein medial gut vernetztes Bündnis wie #ausnahmslos eine kleine Initiative ohne Belege öffentlich diffamiert, wird offensichtlich weder fair agiert noch das Machtungleichgewicht reflektiert, bei dem die IfGbsG den deutlich „Kürzeren zieht“ und sich um so schwerer gegen derartige Verleumdungen wehren kann.
Nach dem erfolgreich verlaufenen Protest für Gina-Lisa Lohfink wurde die IfGbsG und das Berliner Organisations-Team nun mit einem weiteren Vorwurf seitens der Mädchenmannschaft (ebenfalls dem feministischen Spektrum zuzordnen, das Prostitution als Arbeit betrachtet) konfrontiert, nämlich dem des Rassismus, dem die Autorin Magda Albrecht zusätzlich zu dem der Sexarbeiterinnen- und Trans*-Feindlichkeit erhob. Auch sie führt keine Belege an. In dem Artikel wurde zuerst behauptet, dass auf Seiten der Initiativen-Frauen der Begriff „white slavery“ verwendet würde. Dies ist eine unwahre Behauptung. Nachdem der Artikel schon hunderte von Male geteilt und um ein Vielfaches öfter gelesen worden sein muss, wurde diese Behauptung entfernt, ohne in einer Notiz auf die Bearbeitung hinzuweisen. Eine Frau aus dem Berliner Organisations-Team verwahrte sich denn auch in einem Kommentar gegen diese Diffamierung, woraufhin als einziger Hinweis, wo denn die diskriminierenden Äußerungen zu finden seien, auf angebliche, aber unbenannte Facebook-Kommentare und Twitter-Replies verwiesen wurde. Hinweise auf konkrete Quellen erfolgten jedoch nicht.
Wir haben in den letzten Tagen vor der Demo und den Wochen, seit wir den Aufruf zu dieser Protestaktion starteten, ein bewegendes Ausmaß an Zuspruch, Unterstützung und Zusammenhalt erfahren. Auch das hat es uns ermöglicht, trotz dieser öffentlichen Angriffe die Solidaritätskundgebung für Gina-Lisa Lohfink zu organisieren, die so wichtig für sie, aber auch für viele andere Betroffene ist. Der Prozess ist noch nicht zu Ende, am 8. August steht der nächste Termin an. Das Organisations-Team Berlin hat von Vornherein das Thema Prostitution für dieses Event ausgeklammert, um ein breites Bündnis und Solidarität von verschiedenen Seiten zu ermöglichen. Die IfGbsG steht ebenfalls hinter diesem Entschluss.
Sowohl die IfGbsG als auch das Berliner Bündnis wünschen sich, dass feministische Gruppierungen, die Gina-Lisa Lohfink und alle anderen Betroffenen von sexueller Gewalt unterstützen wollen, über die bestehenden divergierenden Haltungen zu feministischen Kernthemen hinaus, politische Bündnisfähigkeit beweisen. Dazu gehört ein fairer Umgang mit unterschiedlichen Positionen, der diese nicht negiert, aber auch nicht zum Anlass für Diffamierungen nimmt.
Danke für Deinen Artikel! Er gibt Kraft.
Nur, Du schreibst und denkst wie eine Demokratin; eine Freiheitsliebende; wie ein Mensch, der die eigenen VIELLEICHT vorhandenen Vorurteile auf jeden Fall erkennen und eventuell überwinden möchte. So versuchen wir alle zu denken un zu agieren.
Manche „Kritikerinnen“ aber, wie sie in der Mädchenmannschaft oft vertreten sind, denken wie Faschistinnen, und wenden auch deren Methoden der Diffamierung, Einschüchterung, Bedrohung, usw. gerne an. Ob sie sich dessen bewusst sind und wissentlich verschweigen, oder ob sie wirklich denken, Heldinnen für den gerechten Kampf zu sein, sei dahin gestellt.
In Wahrheit erhalten und pflegen sie die gleichen Muster der Diffamierung und der Gewalt, gegen die Feministinnen seit Jahrzehnten ankämpfen.
Es gibt viele „gestandene Männer“, um bewusst diesen Ausdruck zu verwenden, die mit ein Wenig Aufklärungsarbeit bessere (sogar gute) Feministinnen werden würden, als diese Mädchen.
Klar ist, dass sich sehr viele von diesen Mädchen -sowohl in ihrem Denken als auch in ihren „politischen“ Strategien, als auch in ihrem persönlichem Verhalten- wenig von den Männermachtstrukturen, der Männergewaltgesellschaft unterscheiden.
Leyla
Vielen Dank Leyla für Dein anerkennendes Feedback.
Allerdings fühle ich mich bei der Art und Weise wie Du von „diesen Mädchen“ schreibst unwohl, da es wie ein Schimpfwort auf mich wirkt. Und Mädchen sind tolle auch gerade für erwachsenene Frauen häufig empowernde Wesen, die sie daran erinnern, was sie trotz Sozialisationszwängen nicht doch alles hätten sein können…
„Faschistinnen“ empfinde ich als nicht auf die Mädchenmannschaft zutreffend Begriff und auch eher beleidigend. Obgleich sie durchaus Einfluss in der liberalfeministischen Gemeinschaft usw. hat, kann nicht behauptet werden, dass ihr in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft ein Herrschaftsanspruch zukäme.
Allerdings bin ich vermutlich in dem Sinne bei Dir, als dass ich kritisiere, dass dort Diversität und Diskussionskultur zu sehr unterbunden wird.
Ein wunderbar klarer, intelligenter Artikel! Ich wünsche Euch das Beste für Eure weitere Arbeit und das die Konflikte sich konstruktiv lösen lassen. Ihr habt die Türe dafür auf eine wunderbar souveräne Art geöffnet.
Liebe Grüße an alle und an Dich Gunhild <3 Deine Schwester Astrid
Liebes Orga-Team,
ich stimme euch in einem Punkt zu. Ich hätte es auch begrüßt, wenn #ausnahmslos und die Mädchenmannschaft ihre Kritik ausgeführt und belegt hätten. Die möchte ich hier aus meiner Prespektive bzw. aus Sicht des Kampagnenbündnis #NeinHeisstNein nachliefern.
Die IfGbsGteilt in ihrem Artikel vom 8.2.2014 „Unser Standpunkt zur Prostitution: Pro Nordisches Modell“ den Aufruf der EMMA gegen Prostitution. Zitat aus diesem EMMA-Aufruf: „Auch die Abschaffung der Sklaverei galt vor gar nicht so langer Zeit noch als Utopie. Und auch wenn die Sklaverei aus unserer Welt keineswegs ganz verschwunden ist, so wäre es heutzutage für einen aufgeklärten, demokratischen Staat doch undenkbar, die Sklaverei zu tolerieren oder gar zu propagieren. Doch genau das tut Deutschland mit der Prostitution: Es toleriert, ja fördert diese moderne Sklaverei (international „white slavery“ genannt). Die Reform des Prostitutionsgesetzes 2002, die angeblich den geschätzt 700.000 Frauen (Mittelwert) in der Prostitution nutzen sollte, trägt die Handschrift der Frauenhändler und ihrer LobbyistInnen. Seither ist Deutschland zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel (…) geworden.“ (http://www.emma.de/unterzeichnen-der-appell-gegen-prostitution-311923)
Hier wird sich unkritisch mit einem Appell solidarisiert, der sich prominent im zweiten Absatz auf den Begriff „White slavery“ bezieht. Der Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende und bis heute verwendete Begriff „White Slavery“ relativiert also sklavische Herrschaftsverhältnisse und stützt rassistische und sexistische Unterdrückungsverhältnisse:
„Der Begriff „White slavery“ ist kritisch zu betrachten, da er historisch hauptsächlich oder sogar ausschließlich die vermeintliche Unterdrückung von Weißen thematisierte, und dies oft neben der Rechtfertigung der Versklavung Schwarzer. (…) Mit diesem Diskurs sollten auch Geschlechter- und „Rassen“-Verhältnisse stabilisiert werden. (…) Zudem wurden damit junge Weiße Frauen als schwach und unselbstständig degradiert. (…) Dieser Diskurs festigte nicht nur das patriarchale, sondern auch das rassistische Herrschaftsverhältnis mittels Vorurteilen gegenüber dem „bösen Schwarzen Mann“ und „dem Migranten“. (…) Weil der Begriff sich sprachlich nur auf den Mädchenhandel Weißer Frauen und Mädchen bezieht, werden außerdem Schwarze Frauen aus der Problematik der Zwangsprostitution ausgeschlossen, obwohl sie genauso davon betroffen waren und auch heute noch sind.“
Details dazu hier: https://menschenhandelheute.net/2011/10/12/white-slavery-%E2%80%93-ein-begriff-mit-problematischen-implikationen/
Ihr (bzw. ein Mitglied eurer Gruppe) wurde von mir darauf aufmerksam gemacht, dass die IfGbsG sich auf den EMMA-Appell bezieht und diesen unterstützt. Es ist schade, dass ihr die Gelegenheit eures Statements nicht dazu nutzt, euch vom EMMA-Appell zu distanzieren. Diese Nicht-Distanzierung spricht Bände. Sie zeigt, dass ihr euch als Gruppe nicht mit der inhaltlichen Kritik auseinandersetzt habt. Es sollte für Feminist*innen selbstverständlich sein, sich mit inhaltlicher Kritik auseinanderzusetzen und diese ernst zu nehmen. Ohne eine Distanzierung zum EMMA-Appell ist es für uns schwierig bis unmöglich, weiter in Bündnissen mit euch zu arbeiten. Dass diese Bündnisarbeit nicht möglich ist, ist begründet unter anderem durch eure nicht-Distanzierung von rassistischen Positionen.
Hinzu kommt: Auch große Organisationen wie Amnesty International teilen eure Position zu Sexarbeit nicht. Euer Diskurs macht Sexarbeiter*innen per se zu „Opfern“. Ihr werft Sexarbeit und Zwangsprostitution/Menschenhandel in einen Topf als wäre es ein und dasselbe. Das ist undifferenzierte Meinungsmache, die nicht den Fakten entspricht. Das Risiko der Ausbeutung und der Gewalt für Sexarbeiter*innen STEIGT, wenn sie durch Kriminalisierung in die Illegalität gezwungen werden: „We have chosen to advocate for the decriminalization of all aspects of consensual adult sex work that does not involve coercion, exploitation or abuse. This is based on evidence and the real-life experience of sex workers themselves that criminalization makes them less safe.“ (Amnesty International) https://www.amnesty.org/en/latest/news/2015/08/sex-workers-rights-are-human-rights/
Der Vorwurf der Trans*feindlichkeit ist im übrigen – wie ihr auch wisst, da es in eurer Gruppe meines Wissens nach thematisiert und besprochen wurde – nicht grundlos. Mit der Gestaltung des Banners der Soli-Demo mit dem Motiv des Frauen-Symbols schließt ihr alle Betroffenen von sexualisierter Gewalt aus, die sich nicht als Frauen definieren. Wir hätten erwartet, dass es auf die Kritik hin eine klare Positionierung des Orga-Teams gibt. Ein Statement, dass die Kritik bei euch angekommen ist, dass ihr euch damit auseinandersetzt und sie ernst nehmt. Eine kurze Stellungnahme, dass es euch Leid tut wenn Menschen sich ausgeschlossen und unsichtbar gemacht fühlten. Kurz ein paar Worte dazu dass dies nicht beabsichtigt war und ihr bei weiteren Aktionen mehr Sensibilität für die Diskriminierung von Trans*personen an den Tag legen wollt. Es ist klar, dass gerade unter Zeitdruck Fehler passieren können. Darum geht es nicht. Es sollte aber selbstverständlich sein, Fehler einzugestehen und sich im Nachhinein entsprechend zu positionieren.
Ich halte es für eine schwierige Forderung, diese grundlegenden Differenzen, die jeweils die Diskriminierung und den Ausschluss von Personengruppen implizieren, aus Bündnissen einfach herauszuhalten und sie nicht zu thematisieren. Gerade bei den angesprochenen Punkten wird deutlich, wie in der Praxis einer Demo Menschen diskriminiert und ausgeschlossen werden. Wir sind z.B. froh, dass vor Ort Teilnehmende der Demo eingeschritten sind, als andere Teilnehmende den Beitrag der Sexarbeiter*innen-Organisation Hydra e.V. gestört haben.
Es ist wichtig, dass solche feministischen Positionen, die andere Feminist*innen (Feminist*innen of colour, Trans*personen, Sexarbeiter*innen) diskriminieren, nicht ernst nehmen und ausschließen, kritisch diskutiert werden. Und wir halten es auch für wichtig, solche Positionen in unserer politischen Arbeit nicht zu unterstützen, sie nicht zu reproduzieren, sie zu benennen, sie offen zu kritisieren und uns davon zu distanzieren. Es ist wichtig, solche Positionen nicht weiter zu legitimieren. Für die positive Weiterentwicklung feministischer Diskurse halten wir dies für essenziell. Wir selbst fanden es schade, dass wir eure an anderen Stellen sehr gute Arbeit so nicht voll und ganz durch Zustimmung unterstützen konnten, hoffen aber umso mehr, dass ihr in der Kritik vor allem auch ein Angebot zur Auseinandersetzung und Selbstreflexion sehen könnt.
Beste Grüße aus Köln,
Cat
Hallo ifgbsg Team, hallo #teamginalisa, hallo Cat,
Ich habe die Diskussion mit Interesse gelesen und bin nun verwirrt:
Ich dachte, dass #neinheisstnein ein Statement ist, dass im Strafrecht ein Nein als ein Nein anerkannt werden soll. Ich wusste nicht, dass man sich mit einem Kampagnenbündnis solidarisiert, wenn man den #neinheisstnein Hashtag benutzt. Wer ist dieses Kampagnenbündnis? Bisher kannte ich nur das „Bündnis Nein heißt Nein“, aber das seid nicht Ihr? Muss man mit den Positionen des Kampagnenbündnisses einverstanden sein, wenn man #neinheisstnein schreibt?
Warum ist ein Frauensymbol trans*feindlich? Wenn man so denkt, ist das Symbol vor allem männerfeindlich, zumal es auch männliche Betroffene gibt. Es gibt auch Männer, die die Strafrechtsreform unterstützen. Sollten auch diese Männer von der Demo ausgeschlossen werden, ich denke doch nicht?
Die Position von Amnesty International verstehe ich so, dass viele Frauen in bestimmten Ländern keine andere Wahl haben, weil es dort kein Sozialhilfesystem gibt. Wo man sich zwischen Prostitution und Tod entscheiden muss, nimmt man Prostitution. Utopie sieht aber freilich anders aus. Ich kann akzeptieren, dass für diese Frauen das nordische Modell noch zu früh ist, mangels Alternative, ich muss aber nicht deswegen die Freier, die teilweise aus dem reichen Ausland extra zu diesem Zweck anreisen, als Frauenretter betrachten, denn diese beuten die Frauen aus.
Liebe Cat!
Vielen Dank für deinen Kommentar, auf den ich als Einzelperson der IfGbsG wie folgt eingehe; heißt auch, ich spreche hier für mich und nicht im Namen der IfGbsg und/oder der Berliner Orga-Gruppe, wir haben oben bereits betont, dass wir keine politisch homogene Gruppe sind und unterschiedliche Haltungen zu verschiedenen Themen vertreten.
Einerseits gibt der Kommentar den spekulativen Annahmen, wo nun diese Vorwürfe her rühren, einen Boden und andererseits spiegelt er in vorbildlicherweise wieder, wie die liberal-feministische Szene mit ihren in meinen Augen verinnerlichten Dogmen tickt.
Die IfGbsG verwendet den Begriff „white slavery“ nicht. Punkt.
Auf den EMMA-Appell und den Karlsruher Appell hinzuweisen ist eine Möglichkeit, Leser_innen aufzuzeigen, wie sie gegen das Elend, das vor unseren Augen seit der Liberalisierung der Prostitutionsgesetzgebung stattfindet, ein politisches Zeichen setzen können. Wir unterstützen den Grundtenor der Petitition, auch wenn es unter uns – soweit ich das überblicke – durchaus Unstimmigkeiten in einzelnen Punkten gibt.
Ich sehe mich nicht veranlasst, mich a) von der EMMA zu distanzieren noch b) von ihrem Appell. Wer der IfGbsG – und damit mir – deshalb weiterhin Rassismus-Vorwürfe unterjubeln möchte, möge das tun, sie bleiben in meinen Augen weiterhin unhaltbar, ich weise diese als nicht legitim und unbelegt zurück.
Als Ergänzung zu deinem verlinkten Artikel, den du so ausgiebig zitierst: Die Autorin unterlässt es m. E. sehr gezielt, den Begriff „white slavery“ auch mal im Kontext der abolitionistischen Bewegung zu beleuchten. Dies nur als Ergänzungshinweis oder als Anregung für dich, dahingehend mal etwas tiefgründiger zu recherchieren, anstatt unhinterfragt steile Thesen breit zu treten und sich nur auf eine Quelle zu beziehen.
Und um es vorweg zu nehmen: Ich sehe den Begriff „white slavery“ auch sehr kritisch und verwende ihn nicht, aber aus deutlich anders gelagerten Gründen (und ich beziehe mich in meiner Kritik auf das „white“, aber nicht auf den der Sklaverei – es gab noch nie soviel Menschenhandel und -ausbeutung wie zu unserer heutigen Zeit). Davon mal abgesehen ist die Autorin 1. für ihr redundantes Rumschleudern von Bezichtigungen vermeintlicher „Hurenfeindlichkeit“ bekannt und 2. betreibt sie meines Erachtens ordentliche Lobby-Arbeit für die Sexindustrie. Interessant, dass du ausgerechnet sie zitierst, wundern tue ich mich darüber aber nicht.
Beim Rechtfertigen der Transfeindlichkeit wird es leider, entschuldige bitte, etwas lächerlich. Das ursprünglich gewählte Symbol ist ein feministisches Symbol und steht für feministische Kämpfe. Ein solches derartig fehlzuinterpretieren, in dem daraus Trans-Feindlichkeit konstruiert wird – da müssen die Dogmen schon ganz schön tief sitzen.
Du behauptest demnach auch, dass das umgestaltete Zeichen nun inklusiv sei? Meinst du inklusiv oder Trans-inklusiv? Mal so ein Gedankenspiel: Wie sieht es denn mit der Inklusion Schwarzer Frauen, Frauen der Arbeiter_innen-/Armutsklasse, Lesben, Frauen mit Behinderung, etc. aus? Machst du dir darüber genauso Sorgen? Oder werden hier ganz merkwürdige Maßstäbe angesetzt? Sind die mit diesem Zeichen auch alle eingeschlossen oder haben sie sich mitgemeint zu fühlen? Das sind rhetorische Fragen.
In meinen Augen wurde durch die Umgestaltung des Zeichens das Signal der Exklusion bestimmter Gruppen erst geschaffen, weil das feministische Kampfsymbol entfernt wurde – das eben für all diese Kämpfe von Frauen steht, von denen alle auch von weiteren Diskriminierungsformen betroffen sein können. Trotzdem habe ich die Umgestaltung auf Bündnisebene mitgetragen und stehe nach wie vor dahinter.
Du verweist auf Amnesty International: Diese Organisation verdient weder den Titel Menschenrechtsorganisation, noch ist sie in ihrer Positionierung zur Sexindustrie ernst zu nehmen. AI ist hochgradig korrupt (s. http://abolition2014.blogspot.de/2015/08/ngos-beste-pr-und-meinungsmacher-die.html )
und stützt sich auf „Berater_innen“, unter denen sich verurteilte Menschenhändler_innen befinden (s. http://logosjournal.com/2016/farley-2/ ). Als „Sexworker“ dürfen sich nämlich alle „Beschäftigten“ in der Sexindustrie bezeichnen, Zuhälter, Freier, „Manager“, nicht nur die in ihr prostituierten Frauen. Auch interessant, wie unkritisch der Begriff „Sexarbeit“ von dir verwendet wird. Du weißt schon, dass der nicht von prostituierten Frauen geschaffen wurde, sondern von Profiteuren der Sexindustrie? Weißt du darüber hinaus, dass Prostitutionsüberlebende diesen Begriff aufgrund seines verharmlosenden Charakters ablehnen?
Und auch wenn du den Punkt nicht angesprochen hast: Es ist schon hochgradig interessant, wie wenig Raum und Mitgefühl für jene bleibt, die in der Sexindustrie das größte Leid erfahren und die absolute Mehrheit darstellen. Darüber wird – auch in deinem Kommentar – kein Wort verloren: Es sind in der Mehrheit migrantische, rassifizierte, arme Frauen und/oder solche Frauen, die in der Kindheit/Jugend sexuelle Gewalt erfahren haben. Kein Wort wird darüber verloren. Kein Wort über den sexistischen, klassistischen, rassistischen und ableistischen Kern der Sexindustrie.
Du schreibst, eurerseits sei keine Bündnisarbeit möglich, wenn es keine Distanzierung von der EMMA gibt. Ich sage, meinerseits wäre eine Bündnisarbeit möglich, trotzdem ihr den sexistischen, klassistischen, rassistischen und ableistischen Kern der Sexindustrie ausblendet, nicht benennt, geschweige denn anerkennt – wenn es darum geht, möglichst viele Kräfte zu bündeln. Erkennst du den Widerspruch?
Und um mal auf den Kern zurückzukommen, weil ja Gina-Lisa Lohfink – dank u. a. euch – komplett zur Nebensache verkommt:
Es geht hier um eine Frau, die vergewaltigt wurde und der größtes Unrecht widerfährt und auf ihrem Rücken werden Diffamierungen – es bleiben für mich Diffamierungen – ausgetragen. Das ist in meinen Augen hochgradig misogyn.
Das könnte im Übrigen ein Grund dafür sein, warum sich der Artikel bewusst auf das Thema Bündnisfähigkeit trotz divergierender Meinungen bezieht und die Wichtigkeit, Kräfte zu bündeln und nicht auf das von dir geforderte „Positionieren“ zu dem, was du als „Fehler“ ansiehst, aber eben nicht alle aus dem Gesamtbündnis – ich zum Beispiel.
Da heute unsere Protestveranstaltung in Frankfurt ist, bitten wir um Verständnis dafür, dass das Freischalten/Diskutieren der Kommentare dauern kann.
Liebe Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt, ich möchte mich ganz herzlich bei euch für euer Engagement gegen sexuelle Gewalt in ALLEN Formen, selbstverständlich EINSCHLIESSLICH Prostitution, bedanken. Allerdings ist es mit wichtig, anzumerken, dass ich als Feministin NIEMALS mit Pseudo-„Feministinnen“, die Prostitution befürworten und von „Sexarbeit“ (ein Propaganda-Begriff der Sexindustrie, wie ihr ja wisst) schwadronieren, gemeinsame Sache machen würde. Ihr seid viel zu nett und freundlich zu diesen ANTI-Feministinnen, die dem Kampf für die Rechte und die Befreiung von Frauen, und zwar ALLER Frauen, SCHADEN.