Prozessbericht: Berufung ohne Chancen für Betroffene

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Inhaltswarnung: Sexuelle Gewalt

Am 20.03.2013 fand der Berufungsprozess einer nun 19-Jährigen am Landgericht Kassel statt. Sie wirft dem 53-jährigen Angeklagten Stefan K. vor, sie im Alter von 9 – 12 Jahren mehrfach wöchentlich vergewaltigt zu haben. Zu jener Zeit war der Mann der Freund der Mutter.
Der Fall war erstmals am 13.11.2012 am Amtsgericht in Fritzlar verhandelt worden. Richterin Sprafke urteilte aufgrund zu vieler Widersprüche der 19-Jährigen mit Freispruch. Die junge Frau hatte aus der Vielzahl der Vorfälle, die sich in ihrer Kindheit ereigneten, fünf Beispiele korrekt datiert auswählen, detailliert und widerspruchsfrei schildern sollen. Dies gelang ihr fünf Jahre später nicht mehr.
Gegen das Urteil legte die Nebenklägerin Berufung ein. Die Initiative wurde durch die verletzte Zeugin anhand von zahlreichen Berichten über das vorangegangene Verfahren informiert und gebeten über den Fall zu berichten.

Verhör zu kinderpornografischen Bildbesitz

Zu Beginn des Berufungsverfahrens befragte der vorsitzende Richter und Präsident des Landgerichts Dr. Löffler den Angeklagten zur damaligen Wohn- und Beziehungssituation. Dieser entgegnete, er habe bis auf ein oder zwei Ausnahmen nie unterhalb der Woche bei der Familie übernachtet. Des abends sei er fast nur mit Renovierungsarbeiten über die Jahre hin beschäftigt und „eigentlich nie mit den Kindern allein“ gewesen.
Seine Aussage „Ich habe kein Interesse an Kindern – in keinem Fall“ konfrontierten die Staatsanwältin und die Nebenklagevertreterin Rechtsanwältin Gudrun Meyer mit kinderpornografischen Bildern, die auf seinem Computer sichergestellt worden waren. Er entgegnete, diese Bilder hätten sich von selbst ohne sein Zutun beim Besuch von herkömmlichen Pornoseiten installiert. Anhand der einschlägig auf „Teen“ verweisenden Webseitenadresse und der zahlreichen, unterschiedlichen Downloadzeiten und -daten bezeichnete die Rechtsanwältin dies als „reine Schutzbehauptungen“. Der vorsitzende Richter kommentierte: „Ich glaub’s net!“. Weiterhin war das Gericht nicht von seiner Aussage überzeugt, die Bilder seien bereits auf dem gebraucht erworbenen Computer beim Kauf vorhanden gewesen. Hier widersprach der Angeklagte sich selbst als er nach dem Erwerbsdatum des Rechners gefragt wurde. Dieses datierte er auf das Frühjahr 2010, einige Kinderporno-Bilder waren erst im Juli desselben Jahres herunter geladen worden.

Kein Motiv für die Nebenklägerin

Sowohl die Staatsanwältin als auch sein eigener Anwalt fragten den Beschuldigten, wie er sich das Motiv der Nebenklägerin für die Anklage erkläre. Stefan K. äußerte die Vermutung, dass sie sich dafür rächen wolle, dass er durch seine Beziehung mit ihrer Mutter die vorherige Familie auseinandergebracht habe. Rechtsanwältin Meyer wies ihn darauf hin, dass die Anzeige gar nicht von der Nebenklägerin selbst stammte. Ihr Ex-Freund hatte zusammen mit einem Freund Stefan K. verprügelt, nachdem sie ihm von ihren Erlebnissen erzählt hatte. Bei der Festnahme hatte er der Polizei dies als Grund genannt, woraufhin diese ermitteln musste, da Vergewaltigung ein Offizialdelikt ist. Erstmals habe die Nebenklägerin außerdem bereits 2006 einer nahen Freundin von den Vergewaltigungen erzählt, führte die Staatsanwältin aus. So lange nach den Taten bestünde damit kein nachvollziehbares Motiv.

Nebenklägerin zog Berufung zurück

Nach einer viertelstündigen Pause nahm die Rechtsanwältin der Nebenklage in Anwesenheit ihrer Mandantin die Berufung zurück. Die Aussicht, den Beschuldigten gemäß der erforderlichen rechtlichen Grundlagen zu verurteilen, sei zu gering. Die Anwältin betonte, dass dies nur aufgrund der geäußerten Widersprüche ihrer Mandantin geschehe – und nicht, weil deren Vorwürfe unwahr seien. Weiterhin führte Rechtsanwältin Meyer aus, dass Aussagen der Schwester der Nebenklägerin dem Beschuldigten widersprächen. So habe er, anders als behauptet, sehr wohl häufiger als 1 bis 2 Mal unterhalb der Woche bei der Familie genächtigt. Außerdem seien die Schilderungen der Schwester, wie der Beschuldigte sich ihr gegenüber genähert habe, zwar nicht eindeutig missbräuchlich jedoch für sie als Mutter so grenzüberschreitend, dass sie dagegen vorgegangen wäre.
Der vorsitzende Richter Dr. Löffler bestätigte, dass das Verfahren zu keiner Verurteilung geführt hätte und ein Unbehagen verbliebe. Er vertrete einen Rechtsstaat, in dem ließe er „lieber 10 Schuldige laufen, als nur einen Unschuldigen zu verurteilen“. Und diese Zahl ließe sich noch beliebig ausweiten. Dann erklärte er den Freispruch für rechtsgültig und erlegte der Nebenklage die Kosten des Verfahrens auf.

Bild: Landgericht Kassel

 

Kommentar

Diese Bestätigung eines Freispruchs war aufgrund der erschreckenden Indizien eine schwere Enttäuschung. Für die verletzte Zeugin, die nach dem Ende der Verhandlung in Tränen ausbrach, aber auch für alle, die mit ihr auf Gerechtigkeit gehofft hatten.

Die Ungereimtheiten des ersten Prozesses, die allesamt dem Angeklagten zugute kamen, spielten offenbar in der Berufung eine geringere Rolle als die auf Grund der zu weit zurückliegenden Tatzeit widersprüchlichen Tatbeschreibungen der Nebenklägerin. Auch der Angeklagte hatte sich in Widersprüche verwickelt, was ihm aber weniger stark zulasten gelegt wurde als der verletzten Zeugin. Hier stellt sich die Frage, welchen Sinn eine Berufung hat, wenn derartige Einseitigkeiten des vorherigen Prozesses nicht neu aufgerollt werden können.
Das von Richter Löffler und Rechtsanwältin Meyer deutlich geäußerte Unbehagen am Freispruch war bei Vielen im Saal spürbar. Vermutlich auch angesichts dessen, dass der Beschuldigte freimütig angab, dass es in seinen Beziehungen häufig Kinder gäbe, und „auf Wunsch“ massiere er sie auch.

Besserer Schutz nötig

Künftig müssten Betroffene vor Fehlern, wie sie sich im vorangegangenen Verfahren ereigneten, besser geschützt werden. Eine mit Verfahrensbeginn erfolgende Beratung der verletzen Zeugin wäre sehr wichtig, um sie über ihre Möglichkeiten und Rechte aufzuklären.
Diese sollte beispielsweise klarstellen, dass vom Gericht beauftragte GutachterInnen (der Gutachter wurde hier übrigens von der Verteidigung vorgeschlagen) von der verletzten Zeugin nicht zwingend akzeptiert werden müssen. Denn die Zeugin, wie vermutlich viele andere, hätte sich beim Gutachten lieber einer Frau anvertraut, aber dieser Wunsch wurde ihr abgeschlagen.
Der vom Gericht ausgewählte Gutachter Dr. Stolpmann erwies sich dann auch aus anderen Gründen als für die verletzte Zeugin benachteiligend. Einerseits hatte Dr. Stolpmann keine nachgewiesene Ausbildung auf dem Gebiet der Traumatologie, die Erinnerungslücken und -verschiebungen der Betroffenen als üblich und keineswegs als Beleg für Unglaubwürdigkeit erkennt. Zum anderen verließ er den ersten Prozess vorzeitig aus Termingründen, was das Gericht zum Anlass für ein eiliges Verfahren nahm: sämtliche ZeugInnen zugunsten der Nebenklage wurden deshalb genau einen Tag vorher wieder ausgeladen. Darunter befand sich die Großmutter der Nebenklägerin sowie der Kriminalbeamte, der die ersten Vernehmungen durchgeführt hatte. So wurden effektiv wichtige ZeugInnen aus der Beweisaufnahme ausgeklammert.
Des weiteren wäre eine für Sexualdelikten qualifizierte Anwältin wichtig für die Nebenklägerin gewesen; ein Hinweis hierauf und entsprechende Adressen hätten den Verlauf des ersten Prozesses entscheidend positiv beeinflussen können. Denn die für den ersten Prozess ausgewählte Anwältin sabotierte faktisch sämtliche Chancen, die trotz der ungünstigen Ausgangslage noch bestanden hätten. So versäumte bzw. verweigerte sie die Beantragung eines Gegengutachtens und versuchte der jüngeren Schwester auszureden, dass sie etwas von den Taten mitbekommen habe. Letzteres ist mehr als verwunderlich, da die Angaben der Schwester wichtige Zeuginnenaussagen hätten sein können.

Unzureichende erste Anwältin

Das Verhalten der Rechtsanwältin korrespondierte in negativer Weise perfekt mit beinahe sämtlichen Etappen des Verfahrens: denn dass die Staatsanwaltschaft ein Verbrechen wie Kindesvergewaltigung an ein Amtsgericht verweist, wie im ersten Prozess geschehen, zeigt, wie wenig ernst die angeklagten Taten bereits von vornherein genommen wurden. Amtsgerichte verhandeln üblicherweise nur Strafsachen mit geringem Streitwert. Überdies sind die Chancen, dass die dortigen Prozessbeteiligten sich mit den Besonderheiten von Sexualdelikten auskennen, geringer als an Landgerichten, an denen diese öfter verhandelt werden.

Die verletzte Zeugin hatte unter diesen Umständen von vornherein keine Chancen. Von Seiten des Gerichts bestand im ersten Prozess offensichtlich kein Interesse, einen wegen schwerer sexueller Kindesmisshandlung Angeklagten zu überführen. Schließlich wurden seine Begründungen für die kinderpornografischen Fotos unhinterfragt in der Urteilsbegründung übernommen. Demgegenüber spielten die Vernarbungen in der Vagina der verletzten Zeugin, die bereits im Alter von 12 bei ihr festgestellt worden sind, keine Rolle. Auch wurden wichtige ZeugInnen, die ihre Aussagen unterstützt hätten, unter fadenscheinigen Gründen nicht angehört.

Die informierte Presse wollte bei der Berufungsverhandlung leider nicht über das generelle Problem der seltenen Verurteilungen von sexueller Gewalt berichten und unterhielt sich stattdessen in der Verhandlungspause und nach dem Prozess auffällig häufig mit dem Angeklagten und seinen zwei Begleitern.

Rat und Fazit

Unter den derzeitigen Zuständen ist Betroffenen dringend anzuraten, sich vor einem Prozess gründlich beraten zu lassen – z.B. von einem Frauennotruf – und eine/n fachkundige Anwältin/Anwalt zu suchen. Denn nur so können sie ihre Rechte überhaupt wahrnehmen, andernfalls fallen diese unter den Tisch. Doch sollten derartige Beratungen sowie die Zuständigkeit von in Sexualdelikten versierten Prozessbeteiligten zukünftig obligatorischer Teil jedes Verfahrens sein.
Dieser Fall zeigt erschreckend deutlich, wie wenig Interesse die Justiz zuweilen daran hat, schwere Gewalttaten aus dem Bereich Sexualdelikte aufzuklären. Alles zusammen genommen, hätte der Ablauf nicht täterfreundlicher sein können.

17 Responses to “Prozessbericht: Berufung ohne Chancen für Betroffene”

  1. Inge Kleine

    Und zum blanken Hohn werden der Nebenklägerin die Kosten des Verfahrens auferlegt, während sich die Presse mit dem Angeklagten unterhält. (Vermutlich wollten sie die Internetseiten für seine Bilder wissen…) Und wieso fünf Taten? Alle wissen, dass diese Art Verbrechen von den Tätern x-mal verübt werden, und alle wissen, dass ein einziges Mal für eine Verurteilung reicht, was sollte also diese Vorgabe, wo kommt sie her? Das ist schrecklich. Immerhin ist der Typ jetzt etwas aktenkundig und vielleicht hilft das etwas.
    Im Moment arbeiten wir noch an unserem Text für den BGH und seiner inakzeptablen Auslegung von schutzloser Lage etc., danach wollen wir wieder das Thema Opferschutz aus rechtlicher Sicht (Gelder, Beratung, Möglichkeiten, sich bis nach Europa hoch zu klagen und Finanzierungen davon) angehen.

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    • Corina

      Wie gut, dass auch Ihr Euch so engagiert einsetzt! Bitte kurz Nachricht geben, wenn die Petition im Fall Chantal beendet wird, damit ihr noch weitere von mir gesammelte Unterschriften rechtzeitig erhaltet.

      Bezüglich der 5 zu datierenden Daten:
      Nach meinen Informationen, ist für ein Urteil leider eine konkrete Datierung für detailliert geschilderte, ‚glaubwürdige‘ Aussagen nötig, damit im Beschluss dann auch genau stehen kann wegen welcher Vergehen der Angeklagte verurteilt wurde.
      Praktisch ist das natürlich in, oft jahrelang zurückliegenden, Fällen der Kindesvergewaltigung gar nicht möglich…

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  2. hannah

    U N G L A U B L I C H !!! und das schlimmste daran: das alles ist rechtlich (!) so in ordnung! die justizielle wirklichlichkeit muss endlich an die realitäten von betroffenen angepasst werden! danke, dass ihr berichtet habt.

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    • Gunhild

      bin mir gar nicht so sicher, ob das, was im ersten Prozess lief, tatsächlich alles rechtens war. Z.B. dass die Richerin die Begründung des Angeklagten für die kinderpornografischen Bilder auf seinem PC in die Urteilsbegründung aufgenommen hat – obwohl diese Begründung sogar in sich widersprüchlich war. Die Rechtspraxis orientiert sich eben häufig noch nichtmal an dem wenigen, was gesetzlich für Betroffene möglich ist, sondern biegt auch das noch täterfreundlich um. Deswegen ist es ja so wichtig, ihnen vor Ort auf die Finger zu gucken und das publik zu machen.

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  3. Corina

    In unserem Bericht fordern wir besonders bessere Aufklärung für Betroffene.
    Aus meiner Sicht ist hier die flächendeckende Einrichtung von sogenannten ‚Zeugenbetreuungen‘ an den Gerichten unbedingt notwendig. Beim Berufungsverfahren in Kassel war die Betroffene über das prozessbegleitende Angebot der „Kasseler Hilfe“ informiert worden, das sie sowohl im Vorfeld als auch während der Verhandlung (auch im nützlichen ZeugInnenzimmer) wahrnahm.
    Damit eine bessere Aufklärung per se nichts stets mit dem Argument der Finanzierung scheitert, wäre zumindest ein Hinweisblatt zu jeweiligen Verfahrenstechnischen Maßnahmen sehr wohl realisierbar. Beispielsweise wäre beim ersten Amtsgerichtprozess ein über Rechten und Pflichten aufklärendes Beiblatt bei der Einladung zum Gutachten hilfreich gewesen. So könnte der vermutlich für alle ZeugInnen spürbare Druck, ’sich gegenüber dem Gericht bloß nicht falsch oder unpassend‘ zu verhalten, bereits seitens des Gerichts zumindest etwas reduziert werden.

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  4. AusOpfersicht

    Ergänzung zum Bericht:

    Ich wäre wegen der Beurteilung der Qualität der anwaltlichen Betreuung vorsichtlich, denn

    1) ein guter Anwalt muss den Mandanten realistisch beraten. Dazu gehört auch, dass der Anwalt den Mandanten von einem Verfahren abrät, wenn die Erfolgschancen zu gering sind. (Dies kann gerade von Opfern sehr falsch verstanden werden – z.B. in Richtung „der deckt Täter“, „der ist nicht motiviert“ – deswegen ist die psychologische Nachbetreuung durch kooperierende Opferberatungsstellen wie Frauennotruf wichtig. Ein Anwalt, der sagt „das schaffen wir schon“ klingt erstmal engagiert und gut, ist aber nicht immer die beste Wahl für ein Opfer. Vor allem muss das Opfer um die finanziellen Aspekte eines Verfahrens aufgeklärt werden – der Weiße Ring ist nicht immer der passende Ansprechspartner in der Sache)

    2) Gutachten basiert sich nicht unbedingt auf „Psychotraumatologie“ sondern auf „Aussagepsychologie“. Die Aussagepsychologie erkennt nicht die Erkenntnisse der Psychotraumatologie wie Amnesien durch Trauma an. (Leidiges Thema beim Kachelmann-Verfahren, siehe z.B. http://de.scribd.com/doc/115085038/Aus-dem-Kachelmann-Buch-Recht-und-Gerechtigkeit-Das-Maerchen-vom-Erinnerungsmangel-bei-Verbrechen).
    Also ein Gutachten, welches auf Psychotraumatologie kann vom Verteidiger in Zweifel gezogen werden, mit der Folge, dass das Opfer ein zweites Mal durch ein anderes Gutachterverfahren muss.

    3) Auch ist ein Opferanwalt auf guten Willen des Gerichtes angewiesen – das kann auch dazu führen, dass der Opferanwalt nicht immer und für alle aussichtslosen Fällen „Theater“ machen will – weil er sich damit beim Gericht unbeliebt machen und somit auch die Erfolgsaussichten seiner anderen Mandanten gefährden kann, nach dem Motto „ach so, das ist schon wieder ein „Opfer“ vom Anwalt X“.

    Wichtig ist daher auch, dass man weiß, dass man „vorm Gericht und auf hoher See“ auf Glück angewiesen ist, und dass man einen Anwalt findet, bei dem man sich gut aufgehoben fühlt, egal wie das Verfahren ausgeht.

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    • Gunhild

      ja, das ist sicher richtig. Aber hier ist die Frage, ob sich die erste Anwältin (die Nebenklägerin wechselte zur Berufung zu einer anderen Anwältin) noch im ‚realistischen Rahmen‘ aufgehalten hat:

      – indem sie ihre Mandantin trotz ausdrücklichen Wunsches nicht darüber aufklärte, dass sie den vom Gericht vorgeschlagenen Anwalt [Korrektur: Gutachter ist gemeint]nicht annehmen muss
      – trotz ausdrücklichen Wunsches kein Gegengutachten beantragte
      – einer wichtigen Belastungszeugin auszureden versuchte, sie hätte etwas von den Taten mitbekommen.

      Sie hat also die Wahrnehmung der gegebenen Möglichkeiten und Rechte ihrer Mandantin faktisch untergraben, das hat mit Realismus nicht mehr so viel zu tun.

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      • AusOpfersicht

        Dazu würde ich jetzt auf dem Web aus der Info nicht konkret äußern.

        Also waren bei dem ersten Prozess zwei Anwälte (eine Wahlanwältin und vom Gericht bestellter Anwalt) involviert?

        Gegengutachten kostet Geld und bringt nicht unbedingt was.

        Eine Zeugin zu Falschaussagen zu bewegen ist nicht in Ordnung (egal in welche Richtung). Eine „Belastungszeugin“ kann allerdings in einem Prozess letztenendes auch als nachteilig herausstellen, wenn die Zeuginnen die Situationen (auch weil die Sache ja so lange her ist) im Detail anders in Erinnerung haben und das als widersprüchlich gewertet werden. Und wenn die Zeuginnen sich vorher abgesprochen haben oder über die Tat geredet haben, haben die Aussagen nicht mehr viel Beweiskraft.

        Es ist also viel komplizierter als wie man als Opfer oder Freunde den Prozess in der Situation vorstellt.

        Wenn eine Anwältin offensichtlich falsch beraten hat, wäre auch eine Schadensersatzklage bzw. Beschwerde möglich, ob man den Weg gehen möchte, ist eine andere Sache.

        Antworten
  5. Gunhild

    Was genau meinst du mit dem ersten Satz?

    Ich hatte mich falsch ausgedrückt: ich meinte den vom Gericht vorgeschlagenen Gutachter (und nicht Anwalt).

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  6. Ladies´ Team

    Hallo liebe AusOpfersicht:
    Du schreibst:

    1) ein guter Anwalt muss den Mandanten realistisch beraten. Dazu gehört auch, dass der Anwalt den Mandanten von einem Verfahren abrät, wenn die Erfolgschancen zu gering sind. (Dies kann gerade von Opfern sehr falsch verstanden werden – z.B. in Richtung “der deckt Täter”, “der ist nicht motiviert” – deswegen ist die psychologische Nachbetreuung durch kooperierende Opferberatungsstellen wie Frauennotruf wichtig. Ein Anwalt, der sagt “das schaffen wir schon” klingt erstmal engagiert und gut, ist aber nicht immer die beste Wahl für ein Opfer. Vor allem muss das Opfer um die finanziellen Aspekte eines Verfahrens aufgeklärt werden – der Weiße Ring ist nicht immer der passende Ansprechspartner in der Sache)

    Mein Kommentar:

    Klar ist es wichtig, dem Mandanten / der Mandantin die Erfolgsaussichten nicht vorzuenthalten. Jedoch ist hier noch viel mehr passiert: Wie Gunhild beschrieb, wurden wichtige Zeuginnen dazu gedrängt, nichts zu sagen. Und noch etwas: Egal, ob die Anwältin persönlich Erfolgsaussichten sieht oder nicht: Es wäre ihre Pflicht gewesen, dem Wunsch des Mädchens und ihrer Familie nachzukommen, ein Gegengutachten zu erhalten. Auch wichtige Unterlagen aus dem Heim, indem das Mädchen jahrelang ab ihrem 12. Lebensjahr lebte, weil sie es zu Hause nicht mehr aushielt, wurden nicht angefordert, obwohl die Familie dies anriet. So etwas darf meines Erachtens nicht passieren.

    2) Gutachten basiert sich nicht unbedingt auf “Psychotraumatologie” sondern auf “Aussagepsychologie”. Die Aussagepsychologie erkennt nicht die Erkenntnisse der Psychotraumatologie wie Amnesien durch Trauma an. (Leidiges Thema beim Kachelmann-Verfahren, siehe z.B. http://de.scribd.com/doc/115085038/Aus-dem-Kachelmann-Buch-Recht-und-Gerechtigkeit-Das-Maerchen-vom-Erinnerungsmangel-bei-Verbrechen).
    Also ein Gutachten, welches auf Psychotraumatologie kann vom Verteidiger in Zweifel gezogen werden, mit der Folge, dass das Opfer ein zweites Mal durch ein anderes Gutachterverfahren muss.

    Mein Kommentar:

    Die Frage ist doch: Warum werden die fundierten Erkenntnisse aus der Traumaforschung nicht anerkannt – gerade da, wo es überlebenswichtig ist, nämlich bei traumatisierten Betroffenen? Die Erkenntnisse der Traumatol. sind wissenschaftlich belegt und kommen nicht aus irgendeiner schmuddeligen Esoterikecke.

    3) Auch ist ein Opferanwalt auf guten Willen des Gerichtes angewiesen – das kann auch dazu führen, dass der Opferanwalt nicht immer und für alle aussichtslosen Fällen “Theater” machen will – weil er sich damit beim Gericht unbeliebt machen und somit auch die Erfolgsaussichten seiner anderen Mandanten gefährden kann, nach dem Motto “ach so, das ist schon wieder ein “Opfer” vom Anwalt X”.

    Mein Kommentar:

    Und genau das darf nicht passieren – es darf kein Anwalt „brav“ spielen und mit seiner / ihrer Meinung hinter dem Berg halten, nur damit es vom Gericht nicht mit „Liebesentzug“ bestraft wird. Das ist ja nicht viel anderes als fortwährende Befangenheit, die keinen der Beteiligten frei und nach eigenem Ermessen handeln lässt. Wenn der Umstand so ist, dass Anwälte so handeln, dass sie beliebt bleiben, haben wir kein nutzbares Rechtssystem mehr und Korruption und Vetternwirtschaft sind Tor und Tür geöffnet.

    Allgemein, liebe AusOpfersicht, möchte ich damit sagen, dass wir als Initiative genau diese Missstände anprangern und versuchen diesen unhaltbaren Zuständen angemessene Antworten bzw. anwendbare Lösungen entgegenzustellen und ein Werkzeug, das wir nutzen, da wir es für effektiv halten, ist die Schaffung einer Öffentlichkeit.

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  7. AusOpfersicht

    Ich würde da die zwei Ebene nicht vermischen.

    Eine Anwältin in einem konkreten Prozess ist nicht dazu da, gesellschaftliche Missstände anzuprangern oder Grundsatzfragen zu klären. Sie ist im Übrigen auch nicht dazu da, Wünsche der Mandantin zu erfüllen.

    Auch eine Anwältin ist Teil des Systems und muss innerhalb dieses Systems arbeiten.

    Zeugenladung (oder Zeugen-Nicht-Ladung), ist fast immer ein leidiges Thema, Gutachten auch. Nicht-Einbeziehen von Unterlagen auch. Auch mit ganz erfahrenen, guten Opferanwäten. Ich könnte auch ein Lied davon singen. Zu sagen, dass da nur die Anwältin versagt hat, ist da zu kurz gegriffen.

    Und das mit der Problematik der Widersprüche bei mehreren Zeugen habe ich auch schon erklärt – es ist manchmal nicht so einfach, wie man es sich vorstellt.

    Auch wenn man über die fehlende Gerechtigkeit enttäuscht ist – manchmal muss man es als ein Erfolg sehen, dass 1) man nicht in die Falschbeschuldigerin-Ecke gestellt wurde und dass 2) das Leben durch das Strafverfahren nicht ganz kaputt gemacht wurde.

    Ein Opfer hat auch ein Recht auf Zukunft und aufs Leben. Und ein guter Opferanwalt muss auch dran denken. Ein Opferanwalt muss auch wissen, was heute unter heutiger Rechtslage zu machen ist und was nicht, und zwar an dem Gerichtsort.

    Ein Opfer ist nicht dazu da, sich das zweite Mal dafür opfern, dass die Welt besser wird.

    Ja, das Gefühl ist vielen Opfern bekannt – man fragt nach dem „Warum“. Wenn man da was anderes gemacht hätte, wäre es vielleicht zu einer Verurteilung gekommen? Es ist schwer, zu erkennen, dass man da eigentlich keine Chancen hatte. Nicht weil die Welt so böse ist, sondern weil man nur ein „Fall“ unter vielen ist. Das fühlt sich ganz demütigend an, ist aber so.

    Wenn Ihr das als „kein nutzbares System“ seht, dann haben wir keins. Auch Opferanwälte sind auch Fälle angewiesen, wo sie Erfolg haben können, und wo sie was bewirken können – auch Opferanwälte brauchen Geld und müssen überleben. Und die Justiz lässt kein freies Handeln, das ist mehr wie Spielregeln beherrschen.

    Und ja, das Gefühl kennen viele Opfer – dass man das Gefühl hat, dass man – um gegen den Vergewaltiger zu kämpfen – gegen die unmotivierte Staatanwaltschaft kämpfen muss, und dass man – um gegen die Staatanwaltschaft zu kämpfen – erst gegen den eigenen Anwalt kämpfen muss, und dass man – um gegen den eigenen Anwalt zu kämpfen – erst gegen die Beratungsstelle kämpfen muss.

    Ich habe aber auch schon mal verzweifelte Rufe von Opferanwälten erlebt (und das waren teilweise Koryphäen): „was soll ich sonst noch tun, die sitzen am längeren Hebel, von mir aus würde ich gern 20 Seiten Stellungsnahme schreiben, aber ich weiß jetzt schon, dass das mit einem Dreizeiler abgeschmettert wird“.

    Die Lage wäre anders, wenn Opferanwälte wie Verteidiger hohe Stundenhonorare nehmen würden – das könnten aber die wenigsten Opfer zahlen. Und auch das kann man nicht einzelnen Anwälten anlasten.

    Viele Misstände sind systembedingt.

    Antworten
    • Corina

      Gut, dass AusOpferSicht das Recht der Betroffenen auf Selbstschutz anspricht.
      Verletzte ZeugInnen befinden sich in einem Dilemma: Wenn sie als selbst Verletzte nicht die Kraft für ein recht ungewisses und vor allem sehr belastendes Verfahren aufbringen (können), werden damit ungewollt auch Täter ‚geschützt‘. Wenngleich Anzeigen, Aussagen etc. zwecks Dokumentation der Täter natürlich wichtig sind, letztlich müssen Betroffene mit all dem ‚auch leben können‘. Entscheidungen zum Selbstschutz sind absolut nötig und zu respektieren.

      Natürlich scheitern Verfahren üblicher Weise nicht am Versagen einer Einzelperson. Solch Annahme war nicht im Prozessberichtskommentar enthalten. Nichtsdestotrotz müssen allerdings auch Probleme und Unzulänglichkeiten thematisiert werden (hier auf Wunsch der Betroffenen hin):
      Einerseits zur Information von Betroffenen, die sich mit Prozessverfahrensweisen auseinandersetzen und zwecks Empathie Außenstehender, die sich oftmals gar nicht vorstellen können, wie schwierig und leider oft aussichtslos solch Verfahren sind.
      Und zum anderen: Wie sollen sich Missstände im System beseitigen, wenn sie nicht zuvor angeprangert werden?

      Antworten
    • Corina

      Im Groben schon, aber in welchem Zusammenhang soll er zu diesem rund 30 Jahre späteren Fall stehen?

      Antworten
    • Angela

      @ Heike: Wieso kommst du jetzt auf Ulrike Bachmayer? Diese hat den Vergewaltiger ihrer Tochter im Gerichtssaal in Lübeck erschossen. Willst du jetzt dazu aufrufen, dass potentielle Opfer zur Selbstjustiz greifen?

      Antworten
  8. Anonym

    Und was ist mit dem Besitz von Kinderpornographien? Das ist doch für sich auch schon eine Straftat, der nachgegangen werden müsste.
    Ich versteh das nicht.
    Das ist so unfassbar.
    Ich empfinde unser Rechtssystem nicht als solches. Es schreckt davor ab die Bevölkerung zu schützen, aus Angst mal einen Fehler zu begehen und einen Unschuldigen zu bestrafen. Ich empfinde es auch so abschreckend, die Seiten von Verteidigern zu lesen, auf denen sie regelrecht anpreisen, wie sie Freisprüche erreichen können. Was aber, wenn der Täter schuldig ist? (Leider find ich den Link nicht mehr)
    Beschissene Welt.

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