Mit der Verurteilung Claudia D.s hat das Oberlandesgericht Frankfurt die patriarchale Ordnung wiederhergestellt
Vor zwei Tagen, am 28. 9. 2016, wurde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt Recht gebeugt, um zu dem Ziel zu kommen, das der Senat in dem Berufungsprozess Jörg Kachelmann versus Claudia D. offenbar von Anfang an anstrebte: eine Verurteilung Claudia D.s.
Von „krimineller Energie“ war im Gericht die Rede. Der Ausdruck passt tatsächlich perfekt, um zu bezeichnen, wie Richter Sagebiel und die beiden beisitzenden Richter vorgingen. Gemeint war mit diesem Ausdruck allerdings Claudia D. in der Urteilsbegründung – ein Beispiel, das zeigt, wie offen der Senat zum Schluss seine Feindseligkeit der Beklagten gegenüber zum Ausdruck brachte und von der er die gesamte Verhandlung hindurch motiviert war.
Auch gestern waren, wie über die gesamte Berufungsverhandlung, Beobachterinnen der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt dabei.
In zwei Punkten hat das Gericht in seiner „Rechtssprechung“ klar gegen die Vorgabe des Zivilrechts verstoßen, dem Kläger die Beweislast aufzuerlegen (dies war ein Zivilverfahren). Bereits dass das Gericht versuchte, diese Aufgabe selbst zu übernehmen und Kachelmann damit von seiner Pflicht zu entbinden, spricht Bände über seine Befangenheit. Dass diese Beweise nicht gelangen und im Urteil trotzdem so getan wurde, als wären sie erfolgt, zeigt, wie berechtigt die Umkehrung des Vorwurfs der kriminellen Energie an Richter Sagebiel und Konsorten selbst ist.
Die Fakten
So liegt es im Zivilprozess am Kläger seinen Vortrag zweifelsfrei zu beweisen. Was hier bewiesen werden sollte, war Kachelmanns Behauptung, die bei Claudia D. medizinisch festgestellten Verletzungen seien selbstverschuldet gewesen. Denn nur wenn letzteres hätte bewiesen werden können, wäre Kachelmanns Forderung von ca. 13.000€ Schadensersatz berechtigt. Die hatte er im Vergewaltigungsprozess für Gutachter ausgegeben, die das von ihm gewünschte Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit annahmen und damit im Widerspruch zum unabhängigen Gutachter Mattern standen, der kein eindeutiges Indiz für eine Selbstverletzung fand.
Ein Nebenaspekt, der zum Schluss wichtig wurde, war die Frage, ob Kachelmann das Geld, das er zurückfordert, eigentlich jemals selbst für die Gutachten ausgegeben hat. Dies konnte er bis zum Schluss nicht nachweisen. Am letzten Verhandlungstag, dem 14. Juli, traten hierzu zwei Zeugen auf. Der eine war sein ehemaliger Anwalt Birkenstock, der für einen Teil der gutachterlichen Kosten aufgekommen war. Über den Vertrag, den er diesbezüglich mit Kachelmann getroffen hatte, war beidseitig Stillschweigen vereinbart worden. Dies bestätigte er als Zeuge vor Gericht und verließ ohne weitere Aussagen den Zeugenstand. Damit reduzierte sich die geforderte Summe auf etwa 7.000€. Der zweite Zeuge war ein ehemaliger Mitarbeiter aus Kachelmanns früherer Firma Meteomedia. Diese hatte den restlichen Teil der geforderten Summe an die Gutachter überwiesen. Auf die Frage, ob Kachelmann das Geld an Meteomedia zurückgezahlt habe, konnte der Mann allerdings keine Auskunft geben. Im Wortlaut antwortete er auf die diesbezügliche Frage: „Diese Frage kann ich nicht beantworten“.
Die Rechtsbeugung durch das Gericht
Was das Gericht aus diesen Unklarheiten in der Urteilsbegründung machte, ist bemerkenswert. Ohne weitere Begründung wurde ausschließlich das Gutachten des vom OLG bestellten Gutachters Verhoff zitiert. Dieser hatte kein eigenständiges Gutachten erstellt, sondern nur die bisher vorliegenden Gutachten ausgewertet, um sich in seiner Bewertung dann den von Kachelmann bezahlten Gutachten anzuschließen. Wie tendenziös er dabei vorging, haben wir in unserer Prozessbeobachtung geschildert. In der ausführlichen Bezugnahme auf sein Gutachten wimmelte es in der Urteilsbegründung nur so von Aussagen wie „eher unwahrscheinlich“, „sei grundsätzlich nicht auszuschließen“ oder „unwahrscheinlich“. Um einen zweifelsfreien Beweis einer Selbstverletzung handelt es sich damit offensichtlich nicht, ganz zu schweigen davon, dass das gegenteilige Gutachten des unabhängigen Gutachters Mattern vom Gericht in der Bewertung des Falles bewusst außen vor gelassen wurde. Ganz am Ende wurde in einem Satz eine Begründung dafür genannt: Mattern habe eine Nähe zur Beklagten Claudia D. Diese nicht belegte Behauptung reichte dem Gericht, um ein ihm unliebsames Gutachten, welches den Versuch einer eindeutigen Beweisführung noch stärker unterminiert hätte als es bereits die ganzen „Vielleichts“, „Wahrscheinlichs“ und „Unwahrscheinlichs“ der Kachelmann zugeneigten Gutachten tun, für nichtig zu erklären. Im Gegensatz zu dieser unbegründeten fachlichen Abwertung von Mattern hebt die Urteilsbegründung lobend Gutachter Verhoffs akademische Titel und berufliche Positionen hervor, die angeblich für die Qualität seiner Gutachten sprechen.
Im Falle der von Kachelmann nicht bewiesenen Rückzahlung der von anderen ausgelegten Zahlungen an die Gutachter ging das Gericht folgendermaßen vor: sehr korrekt wurden die Beträge, die Meteomedia an die einzelnen Gutachter überwiesen hatte, bis auf die Cents nach dem Komma vorgetragen. Einen entsprechenden Vortrag über von Kachelmann getätigte Rückzahlungen gab es jedoch nicht. Stattdessen wurde kurzerhand der Zeuge von Meteomedia für glaubwürdig erklärt, ohne weiter darauf einzugehen, dass dieser bei seiner Befragung gar keine Aussage zu einer etwaigen Rückzahlung Kachelmanns hatte treffen können.
Dass Kachelmann im Prozess nicht einen einzigen Cent als eigene Ausgabe für Gutachten hat nachweisen können, hätte notwendigerweise eine Zurückweisung seiner Schadensersatzforderung zur Folge haben müssen. Denn wer nichts ausgegeben hat, kann auch nichts zurückerstattet bekommen. Doch Sagebiel und seine Richterkomplizen taten so, als wäre mit der „Glaubwürdigkeit“ des ehemaligen Meteomedia-Mitarbeiters die Rückzahlung von 7.000€ durch Kachelmann belegt.
An dieser Volte zeigt sich, mit welch Entschlossenheit der Senat die Verurteilung Claudia D.s auch um den Preis der Rechtsbeugung durchzusetzen bereit war.
Die Botschaft
Denn indirekt ging es bei diesem Prozess nicht um das Erstreiten der Gutachterkosten, sondern vor allem darum, Claudia D. als Falschbeschuldigerin zu verurteilen. Da war sich der Senat offenbar ganz einig mit Kachelmann. Und genau das zeigte sich auch in der Urteilsbegründung. Die auf tönernen Füssen stehende Gutachterbehauptung, die Verletzungen bei Claudia D. seien selbst beigebracht, ließ den Senat schlussfolgern, dass es sich bei Claudia D.s Anzeige von J. Kachelmann wegen einer Vergewaltigung um eine Falschbeschuldigung gehandelt haben muss. Doch selbst wenn Claudia D. Selbstverletzungen nachgewiesen worden wären – wovon bei zwei gegenteiligen Gutachtermeinungen keine Rede sein kann – wäre auch dies noch kein Beweis für eine Falschbeschuldigung, nämlich für eine vorsätzlich und wider besseres Wissen getätigte falsche Verdächtigung. Es würde lediglich eine vor Gericht gängige Praxis nahelegen, Fakten zu den eigenen Gunsten zu verdrehen.
Als würden sie sich in einem Strafprozess befinden, in dem sie Claudia D. etwas nachweisen müssen anstatt die Beweiskraft des Kachelmann’schen Vortrags abzuwägen, suchten die Richter nach einem Motiv, das die in diesem Prozess Beklagte zu der von ihnen unterstellten Falschbeschuldigung getrieben haben soll. Und bei diesen drei Männern hinterm Richterpult war es kein Wunder, dass sie eines fanden: Rachsucht aus Eifersucht. An dieser Stelle wurde der beisitzende Richter, der die Urteilsbegründung vorlas, besonders lebhaft, seine Stimme bekam einen scharfen Beiklang und er sah häufiger in die Runde. Rachsucht will demnach das Gericht in der Frage Claudia D.s nach ihrer Anzeige gefunden haben, ob Kachelmann in Untersuchungshaft käme. Damit ließen die Frankfurter Richter völlig die Mahnung des vorsitzenden Richters Michael Seidling beim ursprünglichen Vergewaltigungsprozess außer Acht, die er damals nach der Urteilsverkündung aussprach: „Bedenken Sie, wenn Sie künftig über den Fall reden oder berichten, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat und deshalb zu Unrecht als Rechtsbrecher vor Gericht stand. Bedenken Sie aber auch umgekehrt, dass Claudia D. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.“ Letzteres in Betracht zu ziehen, hätte ein anderes Motiv für Claudia D.s Nachfrage nahegelegt. Doch das zogen Sagebiel und Kollegen offensichtlich nicht mal in Erwägung. Stattdessen schaffte es das Gericht, sogar die Tatsache, dass Kachelmann unzähligen Frauen gleichzeitig eine monogame Beziehung vorgaukelte, zu seinen Gunsten und zu Claudia D.s Ungunsten zu wenden, indem es aus der daraus vermuteten Eifersucht eine Kausalkette bis zur Falschbeschuldigung bastelte. Damit bauen die Frankfurter Richter auf das verbreitete Stereotyp der rachsüchtigen, weil betrogenen Frau, von dem sie richtigerweise vermuten dürfen, dass es auf Anklang stößt und ihre rechtsverdrehende Urteilssprechung plausibel wirken lässt, weil es all die entscheidenden Details, die gegen dieses Urteil sprechen, überstrahlen wird.
Die Tatsache, dass auch Kachelmann log, ließ dieser Senat demgegenüber vollständig unter den Tisch fallen.
Die Ordnung ist wiederhergestellt
Den Richtern ging es in diesem Prozess im Verbund mit Kachelmann darum, einen prominenten ehemals Angeklagten reinzuwaschen, und die Frau, die ihn der Vergewaltigung anklagte, für diese Handlung mit den Möglichkeiten der Justiz so klein wie nur möglich zu machen. Sie haben ihre Macht missbraucht, um per Rechtsbeugung ein Urteil durchzusetzen, das die ihnen genehme Ordnung wiederhergestellt hat: die patriarchale Ordnung, die einer Frau, die sich gegen einen Mann wehrt, ihren Platz mit aller zur Verfügung stehenden, hier staatlichen, Gewalt deutlich macht. Eine Frau soll kein Urteil über einen Mann fällen dürfen, und sie soll auch nicht in der Lage sein, ein solches zu veranlassen. Wagt sie es doch, so muss sie – das machte das Gericht mit diesem Urteil unmissverständlich deutlich – mit justizieller Rache rechnen. Und für diese gewaltsam durchgesetzte Botschaft sind alle, denen Männerrechte respektive Männervorrechte am Herzen liegen, gerne bereit sich zusammenzutun, an welchen Stellen der Gesellschaft sie auch jeweils eine Funktion einnehmen. Sitzen sie im Gericht, so tun sie es eben dort. Claudia D., die nach der Urteilsverkündung mit großem Mut vor die Presse trat und eine Stellungnahme verlas, formuliert es zutreffend: „Man will ein Exempel statuieren, um Frauen einzuschüchtern, um sie davon abzuhalten, die Wahrheit über männliche Gewalt laut zu sagen. Man will uns Frauen stumm schalten, damit das gesellschaftliche Machtgefüge im männerbündischen Täterstaat Deutschland nicht in Gefahr gerät.“
Man kann in diesem Fall mit Fug und Recht eine Kumpanei zwischen mehreren der Prozessbeteiligten vermuten. Dafür spricht bereits, dass Kachelmann, der sich bisher konsequent vom Prozess ferngehalten hat, am Tag der Urteilsverkündung erstmals erschienen war, vermutlich in Erwartung dessen, seinen Triumph auszukosten.
Das Urteil gegen Claudia D. ist keine Ausnahme. Es tritt nur deshalb hervor, weil es einen prominenten Mann betrifft, über den die Medien gerne berichten. Dieses Urteil führt nach dem gegen Gina Lisa Lohfink gefällten in diesem Jahr ein zweites Mal überdeutlich vor, welche Kräfte in der Justiz und in der Gesellschaft zugunsten von [mutmaßlichen] Tätern wirken, sofern es sich um Männer handelt (Täterinnen werden meist mit ganz gegenteiliger Härte behandelt). Denn ob ein Mann eine Gewalttat begangen hat oder nicht, ist in dieser Perspektive unerheblich: bereits die Tatsache, dass er einer solchen beschuldigt wird, wird als Angriff verstanden nicht nur gegen ihn, sondern gegen Männer als Gruppe. Und ein solcher Angriff muss dementsprechend bekämpft werden. Die Verve, mit der sowohl die Berliner Richterin Ebner als auch der Frankfurter Richter Sagebiel ihre Urteile gegen geltendes Recht durchboxten lässt sich als Rachsucht gegen „aufmüpfige“ (sprich: ihr Recht in Anspruch nehmende) Frauen lesen.
Doch anstatt diese Art von Urteilen zu hinterfragen, ist in weiten Teilen der Medienlandschaft eine kritiklose Übernahme und Weiterverbreitung der richterlichen Begründungen zu beobachten. Damit versagt auch die gesellschaftliche Institution, die eine Korrekturfunktion einnehmen sollte in eben dieser Funktion, und hilft mit, die frauenfeindliche Ordnung aufrechtzuerhalten.
Der Skandal hieran ist neben den Urteilen selbst, dass diese Urteile medial kein Skandal sind.