Das jugendliche Aussehen des Roman Polanski

Ein Kommentar.

Samstag morgen vor zwei Tagen stellte Gero von Böhm im Deutschlandfunk Musik vor, und erzählte, was die mit ihm und seinem Leben zu tun hat. Er berichtete zwischen zwei Stücken über ein Treffen mit jemandem in Paris, über dessen jugendliches Aussehen er sich wunderte. Dieser hätte ihm daraufhin entgegnet, sein junges Äußeres sei immer sein Problem gewesen, da sich dadurch die gleichaltrigen Mädchen nicht für ihn interessierten. Er habe sich also auf die jüngeren Mädchen konzentriert, die ganz jungen, und dabei sei es dann auch geblieben. Bei dem jugendlich aussehenden Herrn handelte es sich um Roman Polanski, von Böhm freundschaftlich „Roman“ genannt.

Polanski vergewaltigte vor 35 Jahren ein 13jähriges Mädchen1. Zum Allgemeinwissen wurde das spätestens im Jahr 2009, als die USA deswegen einen internationalen Haftbefehl gegen Polanski erhoben. Auch seine Festnahme im Jahr 2011 schlug hohe mediale Wellen.

Böhm wird die Vergewaltigung also bekannt sein. Und in der Sendung spricht er augenzwinkernd von der Vorliebe Polanskis für junge Mädchen, Ergänzung: ganz junge. Die Anekdote um das nicht altersgemäße Aussehen Polanskis soll offensichtlich diese Vorliebe erklären. Soll sie auch die Vergewaltigung nachvollziehbar machen? Das wird nicht deutlich, da Böhm die Vergewaltigung nicht erwähnt. In diesem schwammigen Feld von Nicht-Erwähnen, Verständnis für Begehrens-Prägungen und freundschaftlicher Vornamensnennung ist auf jeden Fall deutlich, auf welcher Seite Böhms Sympathien liegen. Die Perspektive „Romans“ im Hinblick auf junge Mädchen liegt ihm offensichtlich am Herzen. Diese Anekdote macht die Perspektive eines Täters stark, und lässt die Opferperspektive unbenannt verschwinden.

Das ist leider nichts Neues, in den Medien generell, und im Deutschlandfunk speziell auch nicht.

Schließlich erhob sich über den internationalen Haftbefehl gegen Polanski sofort ein Sturm der Empörung. Das ganze sei doch schon so lange her (hat sich denn damals, als es noch aktuell war, jemand über die Vergewaltigung empört? Es scheint, als sei Polanski nach seiner Flucht aus den USA, mit der er einer Verurteilung entging, recht übergangslos in die europäische Kulturgemeinde integriert worden), da würden politische Gründe dahinter stecken. Prominente unterschrieben eine Petition gegen eine Auslieferung Polanskis. Whoopi Goldberg erklärte in einer Talkshow, es sei ja keine Vergewaltigung-Vergewaltigung, also keine richtige Vergewaltigung gewesen. Katrin Saß sprach auf der Berlinale vom „sogenannten Opfer“. Männliche Relativierer gab es ebenfalls zur Genüge, darunter im deutschen Feuilleton z.B. Thomas Urban, der in der Süddeutschen von „Verführung einer Minderjährigen“ sprach. Und auch der Deutschlandfunk trug bereits damals zu den Verharmlosungen bei. So bezeichnete ein Journalist Anfang 2010 in den Kulturnachrichten die Vergewaltigung der 13jährigen durch Polanski als „Sex-Affaire“, die ja „auch schon dreißig Jahre zurückliegt“.

„Verführung einer Minderjährigen“, „Sex-Affaire“: aus einer Gewalttat wird so eine auf freiwilliger Gegenseitigkeit beruhende Angelegenheit. Im Grunde ist das keine Vergewaltigungsverharmlosung sondern eine Vergewaltigungsnegierung: das Verbrechen wird sprachlich zu einem freiwilligen Akt verändert, und ist als Verbrechen gegen die sexuelle Unversehrtheit nicht mehr sichtbar.

Zum selben Zeitpunkt rauschten die zum Teil ebenfalls Jahrzehnte zurückliegenden Missbrauchsfälle der Jesuiten, katholischen Geistlichen und Odenwaldlehrer durch die Medien. Die Empörung und Betroffenheit war in diesen Fällen ungeteilt, Relativierungen oder Verharmlosungen kamen nicht vor. Ganz anders bei Polanski. In seinem Fall wurde damals jede Möglichkeit zur Beschönigung genutzt. Und offensichtlich ist dies immer noch der Fall.

1 Es kam deswegen zum damaligen Zeitpunkt zu einer Anklage, aber keiner Verurteilung, da Polanski ins Ausland floh. Dass er mit dem Mädchen, nachdem er sie alkoholisiert und unter Drogen gesetzt hatte, Geschlechtsverkehr hatte, gab er zu. Das Mädchen sagte vor Gericht aus, dass sie dies nicht wollte und ihm dies auch mitgeteilt hatte.

One Response to “Das jugendliche Aussehen des Roman Polanski”

  1. Corina

    Aktuell schreibt der Focus über Samantha Geimer, die von Polanski als damals „13-Jährige zum Sex überredet“ worden sei. Anlass ist ihre kürzlich erschienene Autobiografie.

    Eine „mehr oder weniger willige Teilnehmerin“ diesen Alters scheint entsprechend diesen Artikels nicht automatisch von sexueller Gewalt betroffen?! Im Gegensatz zur deutschen Gesetzgebung, die „schweren sexuellen Missbrauch“ nach §176a(2) erkennt, wenn „eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind“. Das habe ich gern für alle derzeit ungeniert Kommentierenden andernorts zitiert, die glauben, die Schuld auf ‚reifer wirkende‘ Mädchen übertragen zu können. Dazu passend unpassend urteilen derzeit Richter in USA und GB.

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