Altherren Clubs, Wahlkampf und Sexismus

Ein Kommentar.

Der aktuelle Artikel von Journalistin Laura Himmelreich „Herrenwitz/Der Spitze Kandidat“ rückt die sexistische Normalität der Politik in den Fokus einer öffentlichen Diskussion.
FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle hat am Vorabend des Dreikönigstreffen 2012 sowohl verbal wie auch physisch eine Grenze überschritten!

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sagt Brüderle zu Himmelreich während er ihr auf den Busen schaut; im Laufe des – von der Journalistin als professionell angedachtes – Gesprächs nimmt der Politiker ihre Hand, küsst sie und sagt:

Ich möchte, dass sie meine Tanzkarte nehmen

Kompliment, Flirten, Anzüglichkeit, Belästigung?

Natürlich werden sofort Stimmen der Maskulisten laut, dass „Männer gar nicht mehr die Chance haben, einer Frau ihre Aufwartung zu machen, ohne als Sexualstraftäter hingestellt zu werden“, aber davon abgesehen, wird vor allem Kritik an Laura Himmelreich und nicht etwa an dem Politiker laut; es wird an dem Wahrheitsgehalt der Aussagen der Journalistin gezweifelt. Ausnahmsweise nicht (nur), weil sie eine Frau ist, sondern weil der Artikel erst jetzt, ein Jahr nach dem Vorfall, veröffentlicht wurde.

So sagte Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, heute morgen:

[…] dass ich es für völlig unprofessionell halte. Und für abwegig halte, dass eine junge Dame, die sich vor über einem Jahr belästigt gefühlt hat, nach einem Jahr diese Belästigung auskramt. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, wo derjenige, von dem sie sich belästigt gefühlt hat, eine neue herausragende Position in einer Partei, die die Zeitung, in der sie schreibt, deutlich nicht gewogen ist, macht … das ist so durchsichtig, und das ist so primitiv. Dass ich sage: Das fällt eher auf den Journalismus des ‚Stern‘ zurück, als auf Herrn Brüderle.

Auch die Vorsitzende der FDP-Frauenorganisation, Doris Buchholz, sagte, sie

[…] wisse nicht, warum die Journalistin ein ganzes Jahr warte und jetzt so eine Story daraus mache […]

andererseits spricht sie in einem weiteren Interview davon, dass

[…] die FDP ein Männerverein […] sei, in dem […] ein frauen- und familienfeindlicher Ton“ herrscht […]

Bereits gestern äußerte sich die Journalistin via Twitter, dass ‚vor einem Jahr der „Stern“ kein Interesse an dem Artikel hatte, aufgrund Brüderles exponierten Position sich die Lage nun aber geändert hat‘.

Immerhin erfährt sie auch Unterstützung aus FDP-eigenen Reihen: FDP-Präsidiumsmitglied Jörg-Uwe Hahn spricht von einem Tabubruch, liberale Politikerinnen ebenfalls von einer Aufdeckung der Verhältnisse.

Eine offizielle Stellungnahme der Partei oder von Brüderle selbst gibt es bis jetzt nicht.


Einige Dinge sind aufzuzeigen:

  1. Es ist fürchterlich, dass einer Frau Schweigen als Lügen ausgelegt wird, spiegelt aber die Situation, in der sich viele Opfer von sexuellen Übergriffen befinden, wider, denn
  2. das Opfer wird kriminalisiert. Dem Opfer werden Vorwürfe gemacht (Victim blaming),
  3. es wurde eine Debatte über Sexismus in hohen Rängen angestoßen, die hoffentlich eine Sensibilität für dieses Thema schaffen wird.

One Response to “Altherren Clubs, Wahlkampf und Sexismus”

  1. S. Nitsche

    Sexismus ist ein weites Feld. Sexismus beginnt mit diskriminierenden Witzen, Sexmagazinen, -Bildern und einschlägiger „Literatur“, Anzüglichkeiten, Worten, Sprache, Multimedialem….und ist omnipräsent. Sexismus manipuliert, lähmt und zerstört. Sexismus ist Gewaltanwendung in 1000 Facetten. Vertreter und Vertreterinnen des Staates haben per se die Pflicht Sexismus zu bekämpfen, denn sie propagieren per se und perpetuierlich im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu handeln und zu agieren. Da gibt es also keinen Kompromiss!

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