Am 16.04.2013 musste Richter Matzack am Amtsgericht Frankfurt bezüglich Nötigung / Beleidigung entscheiden. Angeklagt war der 29-jährige Ali N., der zum Zeitpunkt der knapp einem Jahr zurückliegenden Taten seit einigen Monaten mit seiner Frau frisch verheiratet in Deutschland lebte. Der Staatsanwalt warf ihm vor, er habe jeweils zwei Frauen beleidigt und rechtswidrig mit Gewalt genötigt, anhand von Berührungen im Brust- und Genitalbereich und Aufforderungen mit ihm Sex zu haben. Der Angeklagte, der ohne Anwalt jedoch mit Dolmetscher erschien, bestritt die Vorwürfe vehement. Er habe die Frauen zuvor nie gesehen und seine schwangere Frau könne sein Alibi bestätigen.
Die Aussagen der ZeugInnen
Nach der richterlichen Anweisung aller ZeugInnen,die Wahrheit aussagen zu müssen, wurde als erste geschädigte Zeugin eine 23-Jährige angehört. Sie sagte, dass sie die Eschersheimer Landstraße auf Höhe zweier Tankstellen überquert hatte, als der Angeklagte ihr von hinten an Brust und Genitalbereich gegriffen habe. Sie habe ihn sofort von ihr weg geschubst, doch sei er ihr weiter gefolgt. Er habe sie mit Fragen wie ‚Wo gehst Du hin?“ und „Willst Du mit mir Sex haben?“ mehrfach bedrängt und „komisch geguckt“, so dass sie aus Angst gelaufen sei. Ali N. sei ihr einige Minuten lang, einen dunklen Fußweg passierend bis an die Hauseingangstür in der Kirchhainer Straße gefolgt. Vorerst habe sie niemanden von dem Vorfall erzählt. Durch Zufall wurde sie Tage später auf dem selben Weg darauf aufmerksam, wie Ali N. von zwei Männern und einer Frau gestellt wurde. Aufgrund dessen, dass die anderen Personen ihm auch Übergriffigkeiten unterstellten, erstatte sie nun Strafanzeige.
Bei der zweiten Zeugin stellte sich heraus, dass sie am 28.05.2012 gegen 22.30 Uhr anscheinend den gleichen Weg wie ihre Vorrednerin gelaufen war. Der Beschuldigte habe sich genähert und ihre Brust gestrichen. Einen weiteren Versuch, sie im Schritt zu berühren habe sie mit einem Schlag durch ihre Einkaufstüten vereiteln können. Einige Versuche habe der Angeklagte unternommen, sie zu berühren und schließlich von ihr abgelassen. Am nächsten Tag stellte die 26-Jährige dem Täter eine Falle, als sie ihn unweit der beiden Tankstellen an der U-Bahnhaltestelle ‚Am Lindenbaum‘ erkannte. Zuerst sei sie zur U-Bahn und dann den gleichen Weg durch die Grommetstraße gegangen. Ihr Verlobter und ein Freund sollten Ihr versteckt folgen. Dieses Mal sei Ali N. bis auf einen Schritt herangekommen als die beiden Männer ihr zur Hilfe kamen.
Zur weiteren Darstellung des Geschehens vom Folgetag wurde der 31-Jährige Verlobte befragt. Etwa 15 Minuten lang habe er Ali N. beobachtet, wie dieser an der Haltestelle stehend keine Anstalten machte, in eine der Bahnen einsteigen zu wollen. Er schloss daraus, dass der Beschuldigte diesen Ort zum Auflauern von Frauen benutzte. Plötzlich sei der Angeklagte über das Geländer der Haltestelle gesprungen, um der vorangegangen Frau nachzueilen. Er sei mit dem Freund gerade noch rechtzeitig dazu gekommen, bevor der Beschuldigte seine Hand auf den Hintern seiner Freundin habe legen können. Zugleich habe der Angeklagte ausgerufen „Ich habe nichts gemacht!“, obwohl er noch gar nicht habe wissen können, dass die beiden Männer zu der Frau gehörten.
In allen bisherigen Aussagen wurde bestätigt, dass der Angeklagte zweifelsfrei wieder erkannt wurde. Auf Nachfrage des Richters, gaben beide betroffenen Frauen an, jeweils Kleider getragen zu haben. Der Staatsanwalt wollte vornehmlich wissen, wie es ihnen heute gehe. Beide Zeuginnen sagten, sie hätten nun Angst auf dunklen Straßen und die erste Zeugin wäre am liebsten weggezogen.
Zur Entlastung des Angeklagten sagte seine 26-jährige, doch nicht schwangere, Ehefrau aus. Sie bekundete, es täte ihr leid was den beiden Frauen passiert sei, jedoch könne ihr Mann das auf keinen Fall getan haben. Dieser habe mit ihr den ganzen Tag lang ferngesehen. Das konnte der Richter nicht glauben und stellte dem die drei, wie er befand, glaubhaften Aussagen gegenüber. Er warf der jungen Ehefrau vor, eine falsche Aussage zu machen, was hart bestraft würde. Dann appellierte er an das Mitgefühl der Frau und forderte sie eindringlich auf, die betroffenen Zeuginnen anzuschauen und zu erkennen, dass diese immer noch unter den Taten leiden würden. „Wollen Sie es sich nicht anders überlegen?“ bot er der Ehefrau an, die nur sehr zögerlich kurze Blicke auf die beiden Frauen warf. Als sie dennoch auf ihrer Aussage beharrte, wischte eine der betroffenen Frauen ein paar Tränen fort. Der Staatsanwalt überlegte nun, ob die Zeugin vereidigt werden sollte. Sehr entschieden entgegnete Richter Matzack jedoch, er wolle die Zeugin nicht in den Meineid treiben. Trotzdem sprach er nun noch eindringlicher auf die Frau ein. Und letztlich machte sein Schluss, dass wohl ein Verfahren gegen die Frau eingeleitet werden in dem sie höchstwahrscheinlich schlimmer als ihr Mann in diesem Prozess bestraft werden würde, dann aber doch auf sie Eindruck. Er bot ihr zum Überdenken eine Pause vor der Tür an und der Staatsanwalt stimmte zu, dass dies nur fair sei. Danach erklärte die Frau, dass sich nicht sicher sei, welche Tage des langen Pfingstwochenendes sie mit ihrem Mann gemeinsam verbracht habe.
Strafanzeige ‚von Amts wegen‘ führte zu abgelaufener Frist
Bereits als die erste Zeugin zum Ende der Aussage kam, bekundete der Richter das Problem eines nicht vorliegenden Strafantrages. Die Polizei sei fälschlicher Weise von einem Tatbestand nach §177 StGB ausgegangen und hatte „Strafantrag von Amtswegen“ gestellt. Leider wurde sie bei Anzeigenerstattung nicht von der Polizei gefragt, ob sie Strafantrag stellen wolle. Der Staatsanwalt äußerte zwar, dass seines Erachtens ein Strafantrag verwirklicht wurde. Der Richter bezweifelte jedoch dies und schlug vor, nach §154 StPO zu verfahren so dass es zu einer teilweisen Einstellung käme. Der Staatsanwalt stimmte dem „mit Bauchweh“ zu und stellte das Verfahren bezüglich des Tatvorwürfe zum 28.05.2013 gemäß §154 StPO Ziffer 2 ein, da kein Strafantrag vorläge. Mit Bedauern richtete er sich an die anwesenden Zeuginnen und erklärte, dass somit nur noch der Tatbestand der Beleidigung übrig bleibe. Er verstehe deren vermutliches Unverständnis und möchte dies damit erklären, dass die Polizei keinen Strafantrag zur Unterzeichnung vorgelegt habe.
Urteil
Der Staatsanwalt befand zu Gunsten von Ali N. einzig dass er nicht vorbestraft sei. Zu Ungunsten führte er an, dass beide Frauen selbst nach einem Jahr unter den Taten leiden würden (Angstzustände). Außerdem wolle er dem Angeklagten zwar nicht vorwerfen, vor Gericht die Tat abzustreiten bzw. zu lügen, jedoch aber dass er es zuließ, dass seine Frau hier kurz vor einer Falschaussage gestanden habe.
Obgleich der Angeklagte bis zuletzt die Tatvorwürfe bestritt, befand Richter Matzack die „detaillierte und emotionale“ Aussage der betroffenen Zeugin als „sehr glaubhaft“, ebenso die Schilderungen des Paares. Des weiteren bestünde kein Belastungsmotiv, da der Täter bis dahin unbekannt gewesen sei. Damit verurteilte der Richter nach ca. zweistündiger Verhandlung den Angeklagten zu 120 Tagessätzen à 10 € und entsprach damit der Forderung des Staatsanwaltes. Die Kosten des Verfahrens, die allerdings nicht sonderlich hoch seien, wurden dem Verurteilten auferlegt.
Abschließend mahnte der Richter, dass nicht viel gefehlt hätte und es sei sexuelle Nötigung gewesen. Da könne eine Inhaftierung schnell mal passieren. Dafür seien die stattgefundenen Berührungen allerdings zu kurz gewesen.
Kommentar:
Bedauerlich war die Kombination aus polizeilichem Fehler und verstrichener Fristen, die einer weitergehenden Verurteilung entgegen stand. Eine konsequentere Ahndung der überführten Taten, wäre ein wichtiges Signal gewesen; nämlich dass solch Übergriffigkeiten keineswegs Kavaliersdelikte sind.
Ob das die Ehefrau auch so sah? Diese schien für das Leid der beiden Frauen nicht so empfänglich zu sein, als dass es sie davon abgehalten hätte, ihren Mann vor einer Strafe schützen zu wollen. Erst die Androhung einer für sie wahrscheinlichen Strafe brachte sie zum Einlenken. Ob es ihr nur um seine Ehre oder mehr ging, blieb offen.
Zum anderen zeigt sich hier und besonders bei Vergewaltigungsdelikten, dass diese Verfahren schneller abgewickelt werden müssten. Nicht nur um etwaige Fristabläufe zu verhindern, sondern auch um die Betroffenen in ihrem Erinnerungsvermögen zu unterstützen. Denn um so mehr Zeit vergeht, desto wahrscheinlicher werden widersprüchliche Aussagen. Außerdem wünschen sich viele Betroffene ein zeitnahes Verfahrensende, um nicht nach Jahren noch intensivst in alten Erinnerungen und Wunden rühren zu müssen.
Rat zum Strafantrag Bei der Strafverfolgung wird unterschieden:
Wenn eine Strafanzeige erstattet wird, steht häufig noch nicht fest, welcher Straftatbestand letztlich wirklich verfolgt werden kann und damit auch nicht, ob ein Strafantrag nötig wäre. Daher empfiehlt es sich vorsorglich bei Erstattung der Anzeige auch Strafantrag zu stellen. Denn die Prozesse finden meistens erst statt, nachdem die Frist von 3 Monaten (§ 77b StGB) zur Stellung eines Strafantrages bereits abgelaufen ist. Dies erledigt sich recht unproblematisch, gewöhnlich muss dazu nur auf dem Blatt der Strafanzeige das Stellen des Strafantrages angekreuzt werden. Zudem können Strafanträge nach § 77d StGB noch bis zum Ende des Strafverfahrens zurückgezogen werden. Jedoch können damit Kosten verbunden sein (§ 470 StPO). |
Aber selbst wenn die Fristen eingehalten worden wären, zu einer Verurteilung wegen sexueller Nötigung wäre es wohl nicht gekommen. Dem Richter waren die Berührungen zu kurz. Es bleibt also fraglich, wie betroffene Frauen eine wirkungsvollere Verurteilung beeinflussen könnten. Sich länger anfassen zu lassen, könnte schnell zulasten der Betroffenen als mangelnde Eigenwehr ausgelegt werden. De facto wird wegen sexueller Nötigung kaum verurteilt – schließlich gibt es kaum ein Gericht, dass solch Übergriffe für erheblich befindet.
Hinsichtlich der verhängten Strafe hätte eine Therapie – Auflage Sinn machen können, wie sie auch bei anderen Sexualstraftätern gestellt wird (s. Prozess vom 18.04.13 – Bericht folgt). Nun bleibt nur zu hoffen übrig, dass die Geldstrafe auf den alles leugnenden Täter Eindruck macht, und ihn so künftig vom planvollen Auflauern und Belästigen abbringt.
Zum Weiterlesen:
Street Harassment | Schreib es in die Welt!
Wie es bei einer Anzeige auch laufen kann (Negativbeispiel)
Danke für den Bericht.
Dass die Schutzpolizei davon ausgeht, dass eine sexuelle Belästigung unter §177 StGB fallen würde, die Kriminalpolizei das aber dann als eine Beleidigung, ist mir auch bekannt.
Gerade in Städten, wo es eine spezialisierte Sexualdeliktkommission beim Landskriminalamt gibt, kann es durch diese Verwirrung zu weiteren Komplikationen kommen, nämlich wenn das Opfer dann in der Polizeiwache nur kurz zum Vorfall vernommen wird mit der Begründung, dass die Sexualdeliktkommission sich melden würde zwecks ausführliche Vernehmung vornehmen würde. Da die Sexualdeliktkommission dann aber doch nicht zuständig ist, da das nicht als ein Sexualdelikt gesehen wird, gibt es dann kein verwertbares, ausführliches Opfervernehmungsprotokoll mehr.
Dass das Opfer in der Polizeiwache nicht automatisch gefragt wird, ob man auch einen Strafantrag für alle in Frage kommenden Delikte stellen möchte, ist aber komisch.
In diesem Zusammenhang würde ich gerne wissen, wegen was genau verurteilt wurde, und wegen was genau konnte nicht verurteilt werden weil ein Strafantrag fehlte?
Gerade für Beleidigungsverurteilung ist nämlich i.d.R. ein Strafantrag notwendig, da absolutes Antragsdelikt.
Bei manchen relativen Antragsdelikten kann man trotz fehlendes Antrags verurteilen, wenn öffentliches Interesse gesehen wird.
Ja, das lief etwas diffus ab. Deshalb habe ich beim Gericht nachgefragt:
Es wurde nach §185 (Beleidigung) und §240 StGB (’normale‘ Nötigung wie sie auch bezüglich STVO Anwendung findet) verurteilt. Da nur eine Strafanzeige, jedoch mit Strafantrag (?!), vorgelegen haben soll.
Natürlich wäre interessant gewesen, ob die Staatsanwaltschaft wegen öffentlichen Interesses selbst verfolgt hätte. Dies sei nicht der Fall gewesen.