Wagner-Wahn und Vergewaltigungsphantasien

Keine Kommentare.

In den meisten Fällen ortet dieses Medienradar Berichte, in denen sexuelle Gewalt verharmlost wird. Die Bezeichnung ‚verharmlosend‘ scheint bezüglich Peter Sloterdijks „Bayreuther Assoziationen“ allerdings noch zu harmlos. Wie also in Worte fassen, was hier auf einer Welle der Gewalt schwelgend von Herrn Sloterdijk fabriziert wurde?

„Noch einmal meldet sich Nietzsche zu Wort. Hatte er nicht mit wahrsagerischer Deutlichkeit ausgesagt, Wagner sei das „unhöflichste Genie der Welt“ gewesen? Dieses sensationelle Nicht-ernst-Nehmen des Publikums, dieses Niederwalzen jedes noch nicht vereinnahmten Bewusstseins, diese Verschränkung von subtiler Verführung und umwerfender Vergewaltigung, war das nicht Wagners Habitus seit je? Man meinte damals wohl, jedes Weitergehen auf diesem Gebiet sei unmöglich. Wer von Bayreuth nach Hause reiste, war sich bewusst, dass eine Anzeige zwecklos wäre. Eine Vergewaltigung wie diese glaubt dir auf dem Revier niemand.“ (Zitat aus dem Artikel)

Wagnerbüste in Bayreuth (Foto: dpa)

Wagnerbüste in Bayreuth (Foto: dpa)

Seine genussvolle Beschreibung von Wagner-Aufführungen als scheinbar angestrebte und gar vom Publikum angestrebte Vergewaltigungen wirkt wie eine Rollenverschiebung, in der sich der Autor nun seines Publikums ermächtigen will. Per sprachlichem Gewaltakt werden Wörter wie ‚Vergewaltigung‘ und ‚umwerfend‘ zu unwilligen Wortpaaren zwangsvermählt. Euphorische Verherrlichungen von Gewalt „walzen“ mit einer scheinbaren Selbstverständlichkeit jegliches kritische Verständnis zu sexueller Gewalt „nieder“. Als ob es darum ginge, Zeile um Zeile in „jedes noch nicht vereinnahmte Bewusstsein“ einzudringen und mit Vergewaltigungsphantasien vereinnahmen zu wollen. Dies kommt dem ziemlich nahe, was Sexualtherapeutin und Psychologiedozentin Beatrice Wagner als geistige Vergewaltigung beschreibt.

Und als ob das alles noch nicht genug wäre, setzt Sloterdijk noch einen in Sachen Verharmlosung oben drauf, als er davon schreibt, dass in diesem Fall eine Anzeigen zwecklos sei und auf dem Revier nicht geglaubt werden würde. Der sich daraus einladende Umkehrschluss suggeriert ein falsches Bild der Realität, nach dem sich Anzeigen von sexueller Gewalt stets ‚lohnen‘ und den Betroffenen grundsätzlich geglaubt würde. Tatsächlich glauben die Polizeibediensteten den  Betroffenen noch weniger als es ohnehin schon in der Justiz üblich ist (vgl. Befragung der bayerischen Polizeibediensteten zur Einschätzung der Falschbeschuldigungsquote auf S. 173 mit Studien zu den tatsächlichen Zahlen)

Letztlich stellt sich auch bezüglich der Betonung von Gewalt (-phantasien) als Phänomen der Musik auch die Frage: Ist Wagner das ‚kultiviertere‘ Pendant zum Aggro-Rap?

Zum Weiterlesen:
Konrad Weller (2010) „Sexistischer Rap als Ausdruck sexualkultureller Polarisierung“. In: Schetsche, Michael / Schmidt, Renate-Berenike (Hg.) Sexuelle Verwahrlosung: Empirische Befunde – Gesellschaftliche Diskurse. Wiesbaden. S. 207-233 (großenteils auf googlebooks).

Kommentar schreiben

  • (will not be published)

XHTML: Sie können diese Auszeichnungen nutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>