In der Wochenend-taz empört sich Bettina Gaus im Artikel „Rassistische Lobhudelei“ darüber, dass Tony Blair den verstorbenen äthiopischen Ministerpräsidenten Zenawi als Hoffnung für die Demokratie in Afrika bezeichnet habe. Diese Beschreibung sei eine, so Gaus, „menschenverachtende Form der Beleidigung für die Opfer des Despoten“. So weit, so zustimmungswürdig, auch was den Rest ihres Textes betrifft.
Der erste Absatz ihres Kommentars macht eine volle Zustimmung aber unmöglich. Denn so leitet sie ihren Text ein: „Es ist ja in Ordnung, dass ein Todesfall selten der Zeitpunkt ist, an dem endlich öffentlich die ungeschminkte Wahrheit über jemanden gesagt wird. Natürlich ist es netter zu behaupten, Onkel Paul sei so sinnenfroh gewesen, als am Grab daran zu erinnern, dass der Saufbold mehrfach nur knapp einem Prozess wegen sexueller Nötigung entronnen ist. Also nichts gegen Schönfärberei. Aber es sollte doch eine Grenze geben.“
Im selben Atemzug, mit dem sich Frau Gaus für die Perspektive von Gewaltopfern einsetzt, spricht sie sich also dafür aus, diese bei anderen Gewaltopfern, nämlich denen von sexueller Nötigung, auszublenden.
Aber welche Maßstäbe hat Gaus, um zu beurteilen, welche Art von Gewaltsamkeit bei Nachrufen Schönfärberei verdient und welche nicht? Die einer Gesellschaft, die sexuelle Gewalttaten für vernachlässigenswert hält und sich für die Folgen bei den Betroffenen nicht weiter interessiert, geschweige denn geneigt wäre, ihre Perspektive nachzuvollziehen? Ihr Beispiel lässt das vermuten, denn es liefert fast sämtliche Verharmlosungsstrategien. Da wird erwähnt, der Täter sei Saufbold, was traditionell ebenso wie gerichtlich täterentlastend betrachtet wird. Mit seinem Namen und Beschreibung von Eigenheiten wird der Beispieltäter mit der familiären Anrede als „Onkel Paul“ zu einer Identifikationsfigur, während die Betroffenen nicht erwähnt werden. Dazu liefert Gaus gleich eine Möglichkeit der Schönfärberei mit, nämlich den Täter als „sinnenfroh“ zu bezeichnen. Eine Gewalttat zu einer sinnlichen, lustvollen Angelegenheit umzudichten, bezeichnet sie als „natürlich“, um solche Verharmlosungen abschließend ausdrücklich zu billigen: „Also nichts gegen Schönfärberei.“
Was die von einer sexuellen Nötigung Betroffenen bei einer Formulierung wie „sinnenfroh“, die ihre Erfahrungen beschreiben soll und dabei Negatives in Positives umkehrt, denken und fühlen könnten, ist in diesem Beispiel unerheblich. Und genau das macht es dann ja auch umso leichter, derartige Verharmlosungen ausdrücklich zu bejahen. So etwas nennt Gaus im Falle von Despoten-Opfern eine „menschenverachtende Form der Beleidigung“ – und genau so lässt sich das auch im Falle von Betroffenen von sexueller Gewalt bezeichnen.
Dieser Kommentar wurde an die taz mit der Bitte um Weiterleitung an Frau Gaus gesendet.