Ein HNA – Artikel fiel als tendenziös und damit für die Betroffene schädigend auf. In unserem offenen Brief an die Verantwortlichen fordern wir eine sorgfältige Berichterstattung hinsichtlich sexueller Gewalt, um negative Folgen für Betroffene bestmöglich zu vermeiden. Auch wenn wir diese Forderung hier gegenüber der HNA formulieren, betrifft sie natürlich alle Pressemedien und der ihnen obliegenden Verantwortung.
Weitere Informationen zum Hintergrund des beschriebenen Prozesses finden sich in unserem Prozessbericht Berufung ohne Chancen für Betroffene. Unten folgt der HNA – Artikel.
Offener Brief: Richtigste
llung bzgl. Artikel “Mädchen kann sich nicht mehr erinnern” / 21.03.2013 Sehr geehrte Herren Berger und Hagemeier,
durch empörte Angehörige der Nebenklägerin erfuhren wir von Ihrem Bericht zum Berufungsprozess am 21.03.2013 in Kassel, den wir auch beobachtet haben.
Wir möchten hiermit zwei Punkte richtig stellen.
1) Die irreführende Überschrift “Mädchen kann sich nicht mehr erinnern”
Sie vermittelt den Eindruck, die Nebenklägerin hätte sich an die Vergewaltigungen nicht mehr erinnern können. Zum Einen entspricht dies nicht der Tatsache. Denn die traumatisierte Betroffene hatte hier lediglich Schwierigkeiten, die Erinnerungen korrekt einzelnen Daten zuzuordnen. Es handelt sich hier um ein übliches, nachvollziehbares Problem, unter dem Viele nach jahrelang zurückliegenden Vergewaltigungen leiden. Zum Anderen wird die Überschrift, und leider auch der gesamte Bericht, in keiner Weise dem jahrelangen Leid der Betroffenen gerecht. Vor Gericht wurde dokumentiert, dass die Betroffene bereits vor Jahren Vertrauenspersonen von den sexuellen Misshandlungen berichtet hatte. Ebenso wurde festgehalten, dass die medizinischen Untersuchungen (Vernarbungen in der Vagina) eindeutig auf sexuelle Misshandlungen schließen lassen.2) Herr Pasch schreibt abschließend, dass die Behauptungen des Angeklagten, er wisse nicht wie die kinderpornografischen Bilder auf seinen Computer gelangt seien, nicht als Schutzbehauptung widerlegbar gewesen seien.
De facto “war das Gericht nicht von seiner Aussage überzeugt, die Bilder seien bereits auf dem gebraucht erworbenen Computer beim Kauf vorhanden gewesen. Hier widersprach der Angeklagte sich selbst als er nach dem Erwerbsdatum des Rechners gefragt wurde. Dieses datierte er auf das Frühjahr 2010, einige Kinderporno-Bilder waren erst im Juli desselben Jahres herunter geladen worden.” Siehe Prozessbericht der Initiative.Zusammenfassend führt solch Berichterstattung leider zu verstärktem Unglauben gegenüber Betroffenen; nicht nur generell, sondern auch als zusätzliche Belastung durch ein misstrauischeres, persönliches Umfeld, dem sich Betroffene nicht entziehen können. Bitte vergessen Sie daher nicht die mögliche Wirkung Ihrer Berichte auf die Meinung der Menschen bzw. die Verantwortung demgegenüber.
Tatsächlich ist das allgemeine Misstrauen der Bevölkerung bezüglich Anschuldigungen bei sexueller Gewalt im Vergleich zur tatsächlichen Falschbeschuldigungsquote von ca. 3 % unverhältnismäßig hoch. Dies trägt allerdings dazu bei, dass sich nur die Wenigsten trauen, solch Verbrechen überhaupt anzuzeigen. Unterm Strich wird sexuelle Gewalt leider nur im absoluten Ausnahmefall vor Gericht verurteilt. Von den in nur 5% der Fälle angezeigten Sexualdelikten führen gerade mal 13% zu einer Verurteilung, davon die Überzahl in Form von Bewährungsstrafen.
Deshalb ist hier eine besonders verantwortungsvolle und aufklärende Berichterstattung unbedingt erforderlich. Und um hier keine Unklarheiten aufkommen zu lassen: Die Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt befürwortet den Grundsatz “Im Zweifel für den Angeklagten”, jedoch keineswegs den falschen Umkehrschluss nach dem Motto ‘Im Zweifel gegen die Nebenklägerin’. Die prinzipielle Schwierigkeit, sexuelle Gewalttaten eindeutig nach dem Rechtssystem zu überführen, darf nicht zu grundsätzlichem Misstrauen gegenüber Betroffenen führen, die auf juristischem Weg keinen Erfolg hatten.Zur besseren Aufklärung der Öffentlichkeit bitten wir um Richtigstellung als auch einer künftig sorgfältigeren Prozessberichterstattung. Denn dass solch ein Bericht hier nicht genügender Sorgfalt für wichtig erachtet wurde, zeigte sich auch bereits anhand der Schreibfehler der ersten Zeilen. Natürlich wären solch Umstände eines journalistischen Alltags durchaus auch mal nachvollziehbar, ginge es jedoch um etwas Belangloses, das das Leben von Menschen nicht so nachhaltig beeinträchtigen könnte.
Mit freundlichen Grüßen im Namen der Initiative,
Firdes Ceylan […], Gunhild Mewes und Corina Haurová
Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt
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