Die Grünen und ihre Nicht-Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

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Dieser Artikel erschien kürzlich auf Kritiken, Ahnungslosigkeiten & Popkultur, mit freundlicher Genehmigung dürfen wir diesen auch auf unserem Blog veröffentlichen.

Die Farbe Grün

Das Bild zeigt eine grüne rechteckige Grafik.

Inhaltswarnung: Es folgen Zitate, die sexualisierte Gewalt verharmlosen.

Die Grünen und ich, unsere Beziehung ist lang. Als ich mit 18 das Wahlrecht erhaschte (das war 1995), waren sie für mich die Partei, die ich mit gutem Gewissen wählte. Ich nahm dafür in Kauf, in meinem erz-konservativen Umfeld, in dem ich sozialisiert wurde, gebasht und gedisst zu werden. „Öko-T*ssi“, „Sozial-Romantikerin“, Tierversuche-sind-nunmal-notwendig-Monologe und was ich mir nicht alles anhörte dafür, einer Partei meine Stimme zu geben, die eine linke[TM] Politik macht und die mir sehr wichtigen Umweltschutz-Interessen vertritt.

Die Jahre zogen ins Lande und damit auch die ursprünglichen Grundwerte einer Partei, die mal „anti-militaristisch“, „links“, „grün“, „sozial gerecht“ begann. Jene Grundwerte sind inzwischen so „gründlich ramponiert„, dass Die Grünen per se schon nicht mehr wählbar für mich sind 1.

Doch eine Sache schlägt dem Fass tatsächlich noch den Boden aus: Der Umgang der Partei mit den Vorfällen sexualisierter Gewalt, die durch (ehemalige) Parteimitglieder_innen ausgeübt wurde und in den letzten Jahren durch Erzählungen von Betroffenen das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Jüngste Offenbarungen eines Betroffenen, die im Rahmen eines Artikels bei der WELT erschienen, lösten eine erneute Debatte aus, die mit der Forderung an die Einrichtung eines partei-internen Runden Tisches zur Aufarbeitung der Vorfälle und um als Ansprech-Organ für Betroffene zu fungieren, einher ging.

Die Grünen finden das nicht so wichtig, wie einige ihrer Partei-Mitglieder_innen kürzlich in einem TAZ-Artikel mit haarsträubenden Zitaten verlautbarten. Zwar räumt Partei-Chefin Claudia Roth Bedauern ein, dennoch sieht sie das Handlungsspektrum ihrer Partei mit der Beauftragung eines Politik-Wissenschaftlers, die Taten „schonungslos und sorgfältig wissenschaftlich zu untersuchen“ ausgeschöpft.

Nun mag man sich tatsächlich darüber streiten, ob ein partei-internes Organ in Form eines Gremiums, einer Telefonhotline oder anderweitig die richtige Instanz für Betroffene darstellt, letztlich bleibt die Partei aber ohne eine solche Instanz ihrer Handlungsverantwortung schuldig. Denn dieses Handeln wäre ein Akt, der Betroffenen signalisiert, dass ihr Leiden von Belang ist und ein deutliches Zeichen der Bereitschaft, sich partei-intern mit diesen Geschehnissen auseinanderzusetzen. Die Delegation an einen externen Wissenschaftler als einzige Handlungsoption (ergänzend mag das sicher sinnvoll sein) mutet vielmehr so an, dass sich die Partei dieser Vorfälle entledigen möchte und mal ehrlich: dieses Gefühl haben Betroffene in der Regel ein Leben lang mit sich herum getragen, als dass sie darauf angewiesen wären, diese Erfahrung erneut machen zu müssen.

In besonders charmanter (Anmerkung: Sarkasmus) Manier hat sich die Sprecherin der Grünen Jugend, Sina Doughan, zu der Forderung nach einer Telefonhotline für Betroffene geäußert. So äußert sie in besagtem Artikel in der TAZ, dass eine solche „wahnsinnig lächerlich“ sei, von einem „bewusst hochgezogen“ Thema ist die Rede und es sei kein Zufall, dass gerade jetzt (Wahlkampf) besagte Zeitzeug_innen „aus den Ecken gekrochen“ kämen. Nun ja, und außerdem gebe es in jungen Parteien nun mal „verrückte Gruppen“ (wie jene, die sexualisierte Gewalt ausüben, ernsthaft?).

Diese Zitate, die an Widerlichkeit nicht zu überbieten sind und Betroffene sexualisierter Gewalt aufs Übelste verhöhnen und darüber hinaus die Tragweite der Taten bis zum 0-Punkt bagatellisieren, werden auch nicht besser durch einen in ihr Blog gespeiten Vierzeiler, in dem sie die gemachten Äußerungen bedauert. Fakt ist, dass sie in kumulierter Form erschienen sind und durch die Raumeinnahme in einer verhältnismäßig hoch frequentierten Tageszeitung nur erahnen lassen, wie es um die Relevanz-Einordnung des Themas in ihrer Partei bestellt ist. Vielmehr hätten auf die empörten Reaktionen auf diese Aussagen konkrete Handlungsakte zugunsten Betroffener folgen müssen und nicht ein Nicht-Handeln, denn gerade Nicht-Handeln ist (auch) ein politischer Akt.

Nun mag mich der_die geneigte Derailing-Profi darauf aufmerksam machen, dass auch andere Parteien ihre Leichen im Keller haben und generell in puncto sexualisierter Gewalt eine sehr zweifelhafte Einstellung nach außen tragen. Nur ganz ehrlich: Von der CDU/CSU habe ich mir noch nie etwas versprochen und eine Erika Steinbach finde ich zwar unzumutbar, aber leider wenig überraschend im Kontext einer rechts-konservativen Partei, die ich schon seit ich politisch denke, für nicht wählbar halte.

Die Grünen hätten anlässlich der aktuellen Debatte (die im Übrigen nicht erst ein paar Monate alt ist) signalisieren müssen, dass sie parteipolitische Verantwortung übernehmen, um damit Betroffenen zu signalisieren, dass man sich ihrer annimmt und sie nicht nur „outsourct“ in ein Forschungsprojekt. Dass das nicht geschehen ist, bestürzt mich, bekräftigt mich aber in meiner Einschätzung, dass eine sich ursprünglich als links verortete Partei nicht mehr wählbar für mich ist.


1 Das mag zusätzlich dem Umstand geschuldet sein, dass mein Wahlverhalten nicht mehr dem entspricht, was gemeinhin als strategisch/taktisch verstanden wird.

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