Auch Mütter haben Grenzen

4 Kommentare.

Birth rape – sexuelle Gewalt durch gynäkologische Behandlungen

Nach Jahren des Engagements und der Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt muss ich nun feststellen: Ich stehe ganz am Anfang. Zumindest was das Thema Birth rape bzw. sexueller Gewalt während oder nach der Geburt durch medizinisches Personal betrifft. Ich kenne nämlich keine Zahlen zur Häufigkeit von Betroffen oder gar justiziellen Folgen. Dass es dazu Studien gäbe, kann ich mir noch nicht einmal vorstellen. Leider. Denn kürzlich sprach mich eine ratsuchende Frau an, der sexuelle Gewalt durch ihre Hebamme angetan wurde. Ich überlegte; zwar fällt unerwünschtes Eindringen in Körperöffnungen durchaus als Vergewaltigung unter §177 StGB. Allerdings wird hier, solange nicht endlich eine vernünftige Reform erfolgt, alles ausgeklammert, was nicht dem Stereotyp der Beibringung durch körperlich-gewaltsamen Zwang entsprechen will. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Betroffene an den bff weiterzuleiten, in der Hoffnung, dass ihr so mehr Informationen und Ratschläge zu eventuellen Handlungsmöglichkeiten offeriert werden können.

Mein Unwissen ärgerte mich und ich suchte im Netz nach Abhilfe. Auf Seiten für gynäkologisches Fachpersonal und ähnlichem fand ich Einiges zum Thema sexueller Gewalt, jedoch nur für Frauen, die bereits vor der Geburt von sexueller Gewalt betroffen sind. Aber wie sieht der Umgang mit Frauen während der Geburt aus, um eben sexuelle Gewalt zu vermeiden? Dazu fand ich nichts und somit keine Hilfe. Auf offiziellen Seiten lässt sich jedenfalls nichts einfach Zugängliches finden, dass unerwünschtes Eindringen etc. überhaupt zum Problemthema gemacht würden. Und so verbleibt für mich und vermutlich alle anderen Ratsuchenden das ungute Zeichen, dass sexuelle Gewalt durch gynäkologische ‚Behandlung‘ aus professioneller Sicht einfach kein Thema ist.

Immerhin entdeckte ich ein paar wenige Artikel und Forenbeiträge, in denen das Thema als solches überhaupt angesprochen wird.

So zum Beispiel ein fünf Jahre alter Beitrag bei Hebammengeflüster, dem privaten Blog einer Doula. Und dieser führte zu teils doch verstörten Kommentaren. Oder besser gesagt: Die angesprochene Problematik störte diejenigen, die wohl lieber heitere „Lach- und Sachgeschichten“ hören wollten. Auf diesen Beitrag bezugnehmend wagte jemand rund ein Jahr später einen Beitrag in einem Eltern-Forum und erntet damit ziemlich harte Vorwürfe. Oftmals wurde hier vehement die Ansicht vertreten, dass werdende Eltern mit solch Informationen doch nicht beunruhigt werden sollten. Seither schien sich nichts nennenswertes Neues im deutschsprachigen Internet dazu zu äußern. Das Problem verblieb als Tabuthema.

Auf englischsprachigen Seiten tut sich dagegen weitaus mehr. Hier wurde das Thema ja auch als birth rape benannt. Zwar ist das Thema hier nun immerhin ein Thema, jedoch wird es mit ähnlich geringer gesellschaftlicher Anerkennung für das Leid von betroffenen Müttern diskutiert. Viele tun birth rape als bloß feministischen Schwachsinn ab. Obgleich viele dieser meist männlichen Kritiker gar nicht verstanden haben worum es geht. Jedenfalls nicht darum, dass die bloße Geburt, und somit jede Geburt, eine Vergewaltigung sein soll – so wie sie es darstellen, um sich vermeintlich schnell des Themas zu entledigen..

Für respektvolles Handeln in der Gynäkologie!

Für respektvolles Handeln in der Gynäkologie!

Also warum schlagen hier die Wellen der Empörung eigentlich so hoch? Bloß weil, ein paar Menschen bestimmter Berufsgruppen einfach keine Lust haben, ihr Qualitätsmanagement und folglich ein paar Handlungsabläufe zu überdenken und zu überarbeiten? Das scheint mir zu einfach gedacht. Denn es geht doch nicht um die Frage, auf die in diesem Zusammenhang gern abgelenkt wird, ob Maßnahmen (wie ein Dammschnitt) zur Lebensrettung des Kindes durchgeführt werden.  Stattdessen müssen vorab prinzipielle Fragen bezüglich eines respektvollen, wechselseitigen Handelns mit dem weiblichen Körper geklärt werden:  Fragen der Aufklärung, dem Einverständnis, der Verhältnismäßigkeit und der Würde. Und diese stellen sich besonders in den Raum, wenn bspw. nach der Geburt auf besonders schmerzhafte Weise vaginale Eingriffe unternommen werden oder erwünschte Kaiserschnitte abgelehnt werden. Egal ob Mütter sich nun vor oder nach der Entbindung befinden; sie haben ein Anrecht auf Aufklärung und Mitbestimmung über den eigenen Körper.

Übrigens war es meine Mutter, die mir einmal erzählte: Nach der Kaiserschnitt-Geburt meines Bruders wurde sie von einer Frauenärztin derart grob mit der gesamten Hand vaginal untersucht (es ging wohl um Entfernung oder Kontrolle eventuell verbliebener Rückstände), dass sie mich später keinesfalls im selben Krankenhaus gebären wollte. Fast hätte ich das vergessen – so wie das Leid von Frauen so häufig vergessen oder verharmlost wird. Bis als die anfangs erwähnte Betroffene zu mir meinte: „Ich glaube, dass ist ein häufig verbreitetes Problem“. Ja, ein Problem das viel mehr thematisiert und so auch enttabuisiert werden müsste. Und so hoffe ich, dass nun die Zeit gekommen ist, dass Mütter berichten können, was sie als grenzüberschreitend erfahren haben und ihnen auch wirklich zugehört wird. Denn #auchMütterhabenGrenzen. Und diese werden sicherlich alle respektieren, die sowohl professionell als auch motiviert in der Geburtshilfe arbeiten wollen. Oder etwa nicht? Na ja, eigentlich ist das aber auch keine bloß die Geburtshilfe und Gynäkologie betreffende Frage.  Denn wie hier mit Müttern und Frauen umgegangen wird, ist letztlich nur das Resultat der gesamtgesellschaftlichen Perspektive auf das Selbstbestimmungsrecht und den wertschätzenden Umgang mit dem weiblichen Körper.

4 Responses to “Auch Mütter haben Grenzen”

  1. Corina

    Nun ja, etwas tut sich glücklicher Weise wohl doch:
    So gibt es die Aktion ‚Roses Revolution‘: Anlässlich des intern. Tages gegen Gewalt an Frauen werden Rosen vor Kreißsälen abgelegt, in denen Frauen Gewalt erfahren haben. Fotos dazu werden unter dem Hashtag #rosrev verbreitet. Zur deutschen Facebookseite von Roses Revolution geht es hier: https://www.facebook.com/Roses-Revolution-Deutschland-570332356372331/?ref=ts&fref=ts
    Es werden auf der dazugehörigen auf einige Beispiele eingegangen, was hier als Gewalt empfunden werden kann. Sexuelle Gewalt wurde allerdings nicht erwähnt oder zumindest nicht als solche benannt.

    Wenn Ihr Beispiele kennt, wo sich gegen sexuelle Gewalt im Zusammenhang der Geburtshilfe engagiert wird, können die hier gern gepostet werden. Oder auch Erfahrungen und konkrete Wünsche an die Geburtshilfe.

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  2. Mascha Grieschat

    2016 findet die Roses Revolution bereits zum vierten Mal statt. Es gibt einige wenige Publikationen, z.B. „Gewalt unter der Geburt“ (c. Mundlos, 2015) oder das Statement der WHO von 2014 (siehe http://www.gerechte-geburt.de/wissen/gewalt-in-der-geburtshilfe). Dieses Jahr fand auch eine ENCA-Tagung zum Thema „Gewalt in der Geburtshilfe“ statt: http://www.greenbirth.de/PMappe_ENCA_Tagung_2016-1.pdf
    Und: JA! Es braucht mehr Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt – auch in der Geburtshilfe, die Politik ist gefragt, nachhaltig etwas zu verbessern und entsprechende Gesetzesentwürfe auf den Weg zu bringen.

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    • Corina

      Vielen Dank für diese wichtige Hinweise.
      Meines Erachtens liegt ein wichtiger Schritt darin, sexuelle Gewalt auch als solche zu benennen. Dass dies häufig in Bezug auf Geburtshilfe nicht getan wird, scheint mit der mangelnden kritischen Auseinandersetzung darüber einherzugehen, welches Verhalten und welche ‚Behandlung‘ noch als angemessen gelten kann.
      Durch die Auseinandersetzung mit dem Video-Interview mit Christina Mundlos neige ich nun dazu die Ursache nicht nur darin zu vermuten, dass das Kindeswohl über das Wohl der Mutter gestellt wird, sondern vor allem in teils frauenverachtenden Gesundheits-System. Dieses System führt ja dazu, dass Geburten vorrangig so ablaufen sollen, dass sie sich ökonomisch für die Kliniken lohnen. Personal der Geburtshilfe wird darauf jahrelang ‚gedrillt‘, so dass sie sich mehr oder weniger zwangsläufig an diesem System mitschuldig und zugleich auch betroffen macht (wenn sie entgegen ihren eigenen Prinzipien der Menschlichkeit handeln).

      Die Roses Revolution halte ich unbedingt für unterstützenswert, befürchte jedoch nur, dass sie in all den vielen Gewaltthemen, die üblicherweise am intern. Tag gegen Gewalt an Frauen (25.11.) diskutiert werden, nicht genügend Beachtung findet. Kurzgesagt: Ein Aktionstag ist zwar schon etwas, aber angesichts des massenhaft stattfindenden Problems, eindeutig zu wenig. Mundlos ging ja von ca. 50 % Müttern aus, die von Gewalt bei der Geburt betroffen seien, aus. Welche Formen, gerade auch die sexuelle Gewalt, spezifizierte sie allerdings im Interview nicht näher.
      Das Video befindet sich nun in der neuen Youtube – Playlist der Initiative:
      https://www.youtube.com/playlist?list=PLHvJIjzz9mYgRpfzayAazhYJkO8YQcBeq

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  3. Marry

    Mein Anliegen ist das Thema Gewalt unter der Geburt – FÜR GEWALTFREIE GEBURTEN
    mal aufzugreifen, dazu gibt es ein neues Buch:
    Gewalt unter der Geburt
    Der alltägliche Skandal
    Christina Mundlos
    http://www.tectum-verlag.de/tectum-lesetipp/gewalt-unter-der-geburt.html

    die Autorin war in D bereits in einigen Fernsehdiskussionen – Stern TV usw

    Ein Skandal ist zb dass bei Geburten der Kristellergriff in England und Frankreich bereits verboten ist, in Ö und D aber noch immer angewendet wird.

    es lässt Wut in mir hochkochen, wenn ich daran denke, dass dies Frauen in Österreichs Kliniken noch immer passiert

    http://kinderhaben.de/post/139069006531/gewalt-unter-der-geburt-eine-buchempfehlung
    Auszug aus dem Buch
    „Die Erfahrungsberichte der Frauen sind schonungslos ehrlich und mir trieb es beim Lesen so mancher Passage Tränen der Wut und der Trauer in die Augen. Der Satz, der mich am meisten getroffen hat, war der einer 34-jährigen Mutter, die ihr Geburtserlebnis so zusammenfasst:
    Meine Tochter freut sich auf ihren Geburtstag, für mich war es der Jahrestag meiner Geburtsvergewaltigung.
    Diese Frau war während der Geburt beleidigt worden, Eingriffe waren ihr nicht angekündigt worden, man hatte ihr gegen ihren Willen die Beine fixiert und den Kristellergriff an ihr angewendet….“

    – See more at: http://kinderhaben.de/post/139069006531/gewalt-unter-der-geburt-eine-buchempfehlung#sthash.SZoPXobM.dpuf

    Über die Folgen des Kristellergriffes mag ich hier gar nicht schreiben….
    Es ist eine sehr sehr schwere Körperverletzung, dass so ein verletzter Frauenkörper dann ein Kind stillen und versorgen kann, is ja ein Wunder….

    Es ist für mich unglaublich, wie respektlos Frauen in der Schulmedizin nach wie vor behandelt werden.

    In Deutschland gibt es verschiedene Initiativen –
    Roses Revolution (Frauen legen Rosen vor die Kreissäle)
    March of Roses für gewaltfreie Geburten
    http://www.gerechte-geburt.de/home/roses-revolution/

    Die Sicht der SchulmedizinER auf die Geburt ist eine völlig verdrehte… Geburten müssen jedenfalls gewaltfrei ablaufen… Schmerzen sind von Natur aus nicht vorgesehen

    siehe auch das Buch Flowbirthing von Kristina Rumpel –
    http://www.flowbirthing.de/de/

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