Prozessbericht Groß-Gerau 20.06.12: Vergewaltigung in S-Bahn mit Zeugen

3 Kommentare.

Prozessbeobachtung am 20.6.12

Am 20. Juni beobachteten wir den ersten Prozess. Es war der zweite Prozesstag eines Vergewaltigungsprozesses und zugleich der Tag der Urteilsverkündung. Der Prozess fand etwa ein halbes Jahr nach der Tat im Dezember 2011 statt. Ein ungewöhnlich zeitnaher Termin, was wohl auch dadurch bedingt war, dass der Täter am Tatort festgenommen worden war. Außerdem stand ein Zeuge zur Verfügung, nämlich der Lebensgefährte der Frau, die der Angeklagte vergewaltigt hatte.

Der Täter, ein Unbekannter, der das Paar an einem S-Bahn-Depot attackierte, hatte die Frau mehrfach vergewaltigt, ihr dabei Verletzungen zugefügt und sie zusätzlich verbal gedemütigt. Den Lebensgefährten hatte er zuvor durch Tritte außer Gefecht gesetzt. Zwar stand er unter Alkoholeinfluß und Drogen, was seine Schuldfähigkeit laut Gericht möglicherweise milderte, und wurde zudem nach Jugendstrafrecht verurteilt; jedoch hatte er ebenfalls ein langes Vorstrafenregister und stand unter Bewährung. Ausschlaggebend war wohl die Schwere der Tat, die von der Richterin mehrmals betont wurde: sie verhängte 6 Jahre Haft.

Weiterlesen: Bericht von Echo online.

Unser Kommentar

Dieser Prozess war ungewöhnlich, weil es einen Zeugen der Tat gab, der die Schilderung der verletzten Zeugin bestätigte. Es handelte sich um den Lebensgefährten der Betroffenen, der während der Vergewaltigung die Polizei rief. Zudem konnte der Täter gleich am Tatort festgenommen werden. Beweisschwierigkeiten gab es in diesem Prozess also nicht, und das Urteil von 6 Jahren scheint angemessen.

Weder Richterin noch Staatsanwältin sparten mit deutlichen Worten, was ihre Einschätzung der Tat betraf. Dennoch fiel auf, dass die Staatsanwältin mehrfach betonte, dass die Tat besonders dadurch schwerwiegend sei, dass der Täter sie an einer ihm fremden Person begangen habe. So sagte sie zum Abschluss ihres Plädoyers, die Strafe könne hier nicht gering sein, auch in Hinblick darauf, dass es keine Beziehungstat sei, sondern eine wildfremde Frau getroffen habe. Vergewaltigungen, die in Beziehungen verübt werden, sind ihr zufolge also als weniger schwerwiegend einzustufen und haben ein geringeres Strafmaß verdient – eine fatale Einstellung, aber leider in Übereinstimmung mit dem BGH.

Irritierend war zudem, dass sowohl Staatsanwältin als auch Richterin von der verletzten Zeugin und ihrem Lebensgefährten gleichrangig als den zwei Opfern sprachen, meist wurde das Leiden des Lebensgefährten zudem noch zuerst erwähnt und aufgezählt. Das scheint angesichts der Tatsache, dass nur die verletzte Zeugin eine mehrfache Vergewaltigung mit Körperverletzungen erleiden musste und dazu ebenso wie ihr Lebensgefährte psychische Folgen zu tragen hat, unangemessen nivellierend.

3 Responses to “Prozessbericht Groß-Gerau 20.06.12: Vergewaltigung in S-Bahn mit Zeugen”

  1. ausopfersicht

    Danke für Eure Arbeit!

    Das Leid des Zeugen sollte allerdings nicht relativiert werden. Die Erfahrung, bei so einer Tat als Zeuge sich selbst als hilf- und machtlos zu erleben, insbesondere wenn es sich beim Opfer um eine geliebte Person handelt, und die Bilder der Tat, die einem ins Gedächtnis eingeprägt werden, kann tatsächlich schwere Traumatisierung hervorrufen. Je nach Persönlichkeit können die psychischen Folgen schwerer sein als beim Opfer selbst.

    Eine Vergewaltigung trifft nicht nur die Vergewaltigte selbst. Sondern auch Zeugen, Helfer, Angehörige, Freunde…. Und das macht das Verbrechen doppelt verwerflich.

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  2. AusdenAnden

    Es hat aber niemand das Leid des Zeugen relativiert, oder ihm abgesprochen, dass er traumatisiert ist. Es wurde kritisiert, dass es vor das Leid des Opfers gestellt und DIESES relativiert wurde. Offiziell dem Opfer der Vergewaltigung zu vermitteln, dass andere durch dass was IHR widerfahren ist, mehr leiden als sie, objektiviert sie als Person und nivelliert ihr Leid.

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