Von „Sex-Gangstern“ und „Horror-Momenten“: Wie die BILD über das Thema Vergewaltigung berichtet

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Dieser großartigen Analyse der Initiative StopBildSexism ist nichts hinzuzufügen. Wir dürfen den Artikel, der zuerst hier erschien, mit ihrer freundlichen Genehmigung crossposten.

[Um die Screeshots zu lesen, bitte draufklicken oder links unten das kleine „i“ mit der Bildbeschreibung]

 

Lieber Kai,

ich möchte Dir heute zum Thema Vergewaltigung schreiben. Wie Deine Kolleg_innen aus der Bild-Redaktion darüber berichten, schockiert mich, und deshalb habe ich mir einige Artikel mal genauer angesehen. Eure Berichterstattung zum Thema Vergewaltigung ist in vielerlei Hinsicht problematisch.

Im Monat Juli 2015 finde ich unter dem Suchbegriff „Vergewaltigung“ 27 Artikel zum Thema, fast auf jeden Tag kommt ein Artikel. Über das Thema zu schreiben ist richtig und wichtig. Denn Vergewaltigung war und ist ein Tabuthema. Die bis heute hohe Dunkelziffer der nicht-angezeigten Vergewaltigungen spricht hier für sich: nur etwa 5% der vergewaltigten Frauen erstatten Anzeige, jährlich gibt es zwischen 7000 und 8000 Anzeigen. Von diesen kommt es nur bei etwa 13% zu einer Verurteilung

1. Reißerische Wortwahl
Schauen wir uns exemplarisch doch mal zwei Überschriften an, die Ihr im Juli 2015 auf bild.de veröffentlicht habt.

Quizfrage: Was stand noch mal im Pressekodex, Ziffer 11?Es ist nicht nachvollziehbar, warum ihr mit einer derartigen Wortwahl nach Aufmerksamkeit heischt, insbesondere für Menschen, die Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch oder Nötigung erlebten oder ihnen knapp entgingen. Ihr bedient damit Voyeurismus, Sensationslust und auch Phantasien über sexuelle Gewalt.

Quelle Screenshot StopBildSexism

Quelle Screenshot StopBildSexism

Wer Rechtschreib- oder Grammatikfehler findet, darf sie behalten.

Im März 2015 hast Du für Deine Berichterstattung eine Rüge des Presserats bekommen: Ein Vergewaltiger hatte mit seiner Handykamera während seiner Tat Fotos als „Trophäe“ gemacht, die in der späteren Gerichtsverhandlung als Beweismittel dienten. Deine Bild-Redaktion veröffentlichte diese Fotos und verletzte damit die Würde des Opfers.

Pressekodex Ziffer 1, Screenshot-Quelle StopBildSexism

Pressekodex Ziffer 1, Screenshot-Quelle StopBildSexism

Und wie war das mit Ziffer 1 des Pressekodex?

2. Verharmlosung von Vergewaltigung
Du und Deine Redaktion verwenden immer wieder Begriffe und Formulierungen, die Vergewaltigung verharmlosen, indem Ihr bspw. in Frage stellt, ob es sich um eine Vergewaltigung handelt.„SIE verklagte ihn wie später Dutzende weitere Frauen wegen sexuellen Missbrauchs, ER sprach von einvernehmlichen Sex. Man habe ohnehin mehr „rumgespielt“ als wirklichen Geschlechtsverkehr gehabt. Allerdings gab er auch zu, sie vor dem Sex betäubt zu haben. Man einigte sich schließlich außergerichtlich.“Mit Frauen Sex zu haben, die bewusstlos und damit hilflos sind, ist eine Vergewaltigung. Ein solches Statement unkommentiert zu lassen ist fatal und zeigt, wie wenig Bewusstsein Ihr für das Thema habt.In Euren Artikeln ist von „Sex-Gangstern“ die Rede, von „Horror-Momenten“, „Sex-Affären“, „Sex-Gurus“, „Sex-Sklavinnen“ oder „Sex-Fallen“. Gerichtsverhandlungen werden gar zu „Sex-Prozessen“. Immer wieder taucht das Wort „Sex“ auf – dabei wissen wir aus der Forschung, dass Vergewaltigung wenig mit sexueller Lust und viel mit dem Ausüben von Macht zu tun hat. Falls Ihr Euch in das Thema einlesen wollt, gibt es im Internet genügend Organisationen, die über das Thema informieren.Vergewaltigungen sind die extremste Form von sexualisierter Gewalt. Das müsst Ihr und auch Polizei und Justiz ernst nehmen. Doch mit Eurer unsensiblen, reißerischen und verharmlosenden Berichterstattung erhaltet Ihr genau dieses nicht-Ernstnehmen von Vergewaltigung.

3. Vergewaltigungsmythen
Vergewaltigungsmythen sind gesellschaftliche Vorstellungen darüber, was eine „richtige“ Vergewaltigung ist. Dem Opfer wird eine Mitschuld gegeben, zum Beispiel dadurch, dass sie/er sich in gefährliche Situationen bringt (zum Beispiel nachts alleine unterwegs zu sein) oder sich überhaupt mit Männern einlässt.

Screenshot-Quelle StopBildSexism

Screenshot-Quelle StopBildSexism

Quelle: Bild.de

Täter_in und Opfer kennen sich nicht, das Opfer ist eine schöne, junge, weiße Frau; der Täter ist ein triebgesteuerter, alkoholisierter Mann, meist mit Migrationshintergrund. Hier werden also auch rassistische Ressentiments aufrechterhalten und verbreitet. Der Großteil Eurer Artikel aus dem Juli 2015 bedient solche Ängste vor dem fremden Vergewaltiger, der nachts zuschlägt. Die Statistiken dagegen sprechen eine andere Sprache: Der überwiegende Teil der Vergewaltigungen findet im sozialen Umfeld statt.

Screenshot-Quelle StopBildSexism

Screenshot-Quelle StopBildSexism, dort angegebene Quelle: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Eure Berichterstattung schürt also in vielerlei Hinsicht falsche Vorstellungen über Vergewaltigung, sie ist reißerisch und verharmlost Vergewaltigung. Damit tragt ihr dazu bei, dass Vergewaltigungen nicht angezeigt und/oder bestraft werden. Da die Bild als meistverkaufte Zeitung großen Einfluss auf unsere Gesellschaft hat, ist das ganz besonders gefährlich.Deshalb zum Schluss noch ein Tipp:

Der Frauennotruf Saarland hat einen tollen, informativen Flyer herausgegeben. Dort erfahren Medienschaffende, wie sie sensibel über sexualisierte Gewalt berichten können, ohne die Würde der Opfer zu verletzen und Ängste zu schüren.

Schaut doch mal rein und BILDet Euch weiter!

Viele Grüße

Michaela
von StopBildSexism

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